Nur einen Kuss, Kate!
unaussprechlich gemein, dass ich es nicht wieder ertragen könnte.” Sie sah Lady Cahill matt an. “Deshalb kann ich Ihr großzügiges Angebot nicht annehmen. Ich kann keinen Ehemann suchen oder mich in Gesellschaft zeigen.” Sie versuchte ein Lächeln. “Aber so schlimm ist das nicht. Mir wird nicht fehlen, was ich nie hatte. Ich wurde nicht so erzogen wie andere Mädchen. Und ich bin jung und gesund und …”, sie wischte sich über die Augen, “… im Allgemeinen keine Heulsuse. Wenn ich nur eine Stelle als Kindermädchen oder Gesellschafterin fände. Könnten Sie mir dabei nicht helfen?”
Lady Cahill war zutiefst bewegt. Da Kate schwer gekränkt worden war, hatte es im Moment wenig Sinn, ihr die Einwilligung zu irgendwelchen Plänen abzuringen. Sie war viel zu verletzt, um wieder Herz und Hoffnungen aufs Spiel zu setzen, und brauchte Zeit, um sich zu fassen. Lady Cahill gedachte Kate zu helfen, aber nicht, indem sie ihr eine Stelle als Kindermädchen verschaffte. Nein, sie wollte Maria Delacombes Tochter zur Erfüllung ihrer Träume verhelfen. Sie umfasste Kates Hand mit festem Griff.
“Natürlich helfe ich dir. Du musst die ganze grässliche Geschichte vergessen. Du warst in einer schlimmen Situation, doch hast du dich großartig bewährt. Sicher wären deine Eltern stolz auf dich. Ich bin es auf jeden Fall.”
Tränen rannen über Kates Wangen. Gegen Güte war man wehrloser als gegen Grausamkeit. Die alte Frau nahm das Mädchen in die Arme und hielt es fest.
“Lady Cahill, Sie sehen …”
“Im Moment sehe ich gar nichts”, unterbrach Lady Cahill sie und wischte sich die Augen. “Diese dumme Schminke zerläuft, und ich sage und tue nichts, ehe das nicht in Ordnung gebracht wird. Erst holst du meine Zofe, dann wäschst du dir dein Gesicht und frisierst dich. In zwanzig Minuten kommst du wieder.”
Kate starrte sie verständnislos an. Plötzlich überfiel sie ein Lachkrampf, und sie lehnte sich zurück und lachte, bis wieder die Tränen kamen.
Mitgefühl und warmer Humor strahlten ihr aus dem verschmierten Gesicht der alten Frau entgegen. “So ist es gut, mein Mädchen. Tüchtig weinen und lachen, das ist die beste Medizin. Und jetzt”, fuhr sie munter fort, “hol Smithers, und wasch dein Gesicht. Wie du aussiehst!”
Am Nachmittag half Kate der alten Dame in die Reisekutsche und stand winkend im Eingang, als diese losfuhr. Lady Cahill hatte versprochen, ihr zu helfen, und Kate war sicher, sie würde für sie eine Stelle als Kindermädchen in einem ruhigen, netten Haus finden.
Als Gegenleistung war Kates Aufgabe relativ einfach – sie sollte Mr. Carstairs' Haus in Ordnung bringen, etwas, das sie sich durchaus zutraute. Sie liebte Hausarbeit zwar nicht sonderlich, doch war die Verwandlung eines vernachlässigten Hauses wie Sevenoakes in ein behagliches Heim eine Aufgabe, die ihr echte Befriedigung verschaffen würde. Damit sie sich nicht einsam fühlte, sollte ihre alte Kinderfrau Martha kommen und ihr Gesellschaft leisten.
Außerdem, dachte Kate, als sie sich alle Vorteile aufzählte, ist die Gegend wunderschön, und ich kann lange Spaziergänge machen. Sie konnte überhaupt tun und lassen, was ihr beliebte, und gedachte diese Freiheit zu nutzen.
Und sie wurde gebraucht.
Kate zweifelte nicht daran, dass Lady Cahills Enkel ihr dankbar sein würde, wenn er sah, um wie viel leichter das Leben sein würde, wenn sie ihm den Haushalt führte. Vielleicht konnte sie sogar ihre Heilkünste an ihm erproben und ihm helfen, sein verwundetes Bein zu kräftigen und sein Hinken zu mindern. Vielleicht könnten wir sogar Freunde werden, dachte sie optimistisch. Gewiss, er hatte sich herrisch und schwierig gezeigt, doch war das auch ihre eigene Schuld, weil sie ihn gereizt hatte.
Kate war sicher, Jack Carstairs würde so sein wie ihr Vater, ihre Brüder und alle anderen Männer – solange sie sein Haus in Ordnung hielt und für ihn kochte, würde es ihn nicht kümmern, was sie trieb.
Carlos grinste, als er wieder die erhobene Stimme seines Herrn hörte, diesmal aus der Richtung des Frühstückszimmers. Er schlich näher, um durch das offene Fenster zu spähen.
“Ich sagte schon, ich möchte nicht, dass Sie den Boden schrubben!” Die tiefe, aufgebrachte Stimme verriet Hilflosigkeit.
“Ach ja, ich hatte Ihre Vorliebe für Schmutz ganz vergessen.” Kate sagte es trocken.
“Machen Sie sich nicht lächerlich!”
“Was soll ich denn sonst machen?”, gab sie ungehalten zurück. “Sehen Sie
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