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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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D-Mark. Darf ich bitte Ihren Reisepass sehen?«, fragt die freundliche, auffallend hübsche Kassiererin.
    »Ich habe keinen Reisepass«, flüstert Jonas ihr zu.
    »Dann darf ich Ihnen das nicht verkaufen, ist nur für Transitgäste«, sagt die Verkäuferin leise.
    Hinter Jonas stehen die beiden jungen Bayern aus dem BMW. Sie haben sechs Dosen Bier und zweimal zwei Bockwürste in ihrem Korb.
    »Entschuldigen Sie, könnten Sie das bitte für mich kaufen? Hier ist das Geld«, wendet sich Jonas an die zwei.
    »Nö, dös dörf ma nich«, sagt der eine laut und schiebt Jonas zur Seite.
    »Außerdem wer'n unsre Würschtl kalt«, ergänzt sein Kumpel.
    Jonas lässt den Einkaufskorb samt Inhalt im Laden und geht auf die Toilette. Er will nicht mit ansehen, wie diese zwei Typen neben ihm auf dem Parkplatz ihre Würste reinschlingen und ihm dann noch grinsend zurülpsen.
    Als er wieder auf den Parkplatz kommt, fährt der BMW gerade davon und ein beigefarbener, neuer Wartburg parkt an derselben Stelle ein. Drin zwei junge Männer in Windjacken. Diese Art von Personen kenne ich, denkt Jonas, hoffentlich sind sie nicht wegen mir hier. Er parkt rückwärts aus und setzt seine Reise fort. Eine Weile fährt er knapp unter Hundert, um zu sehen, ob der Wartburg ihm folgt. Doch der kommt nicht. Jonas fährt Tempo 120. Er genießt die kleine Freude, die meisten Westautos zu überholen.
    Der Himmel ist jetzt klar und sonnig. Über der flachen Landschaft zwischen Rostock und Berlin liegt eine dünne Schneedecke. Jonas fährt auf den Berliner Ring. Mit einem wehmutsvollen Blick registriert er das Schild »Abfahrt Stolpe - Transit West-Berlin«. Diese Abfahrt darf er nicht benutzen. Warum eigentlich nicht, wo er doch zu den Siegern der Geschichte gehört?
    Er umrundet Berlin im Norden, biegt in den Abzweig nach Pankow ein. Genau dort, wo die Autobahn endet und die Prenzlauer Promenade beginnt, wird sein Auto gestoppt.
    »Guten Tag, Deutsche Volkspolizei, Verkehrskontrolle. Ihre Papiere bitte.« Der junge Polizist nimmt die Papiere entgegen und geht damit zuerst zum vorderen, danach zum hinteren Nummernschild.
    »Bitte zeigen Sie Ihren Verbandskasten und das Warndreieck.«
    Jonas steigt aus und weist auf die verlangten Gegenstände im Kofferraum.
    »Und was haben Sie in der Reisetasche?«
    »Ist das hier eine Grenzkontrolle?«
    »Sie haben unbefugterweise einen Intershop für Transitreisende aufgesucht und eine illegale Kontaktaufnahme zu im Transit reisenden ausländischen Bürgern versucht. Also bitte, öffnen Sie die Tasche und zeigen Sie mir den Inhalt.« Der junge Polizist hat das sehr freundlich, fast bittend gesagt. Jonas macht die Tasche auf und hebt die darin liegenden Sachen an, sodass der Polizist den Boden sehen kann.
    »Schon gut, schon gut«, sagt der Polizist, als ob er eine ihm selbst unangenehme Pflicht hinter sich bringen müsste. Er gibt Jonas seine Papiere zurück. »Ich wünsche Ihnen eine gute Weiterreise. Und fahren Sie in Berlin bitte vorsichtig. Bei der jetzigen Wetterlage gerät man leicht ins Schleudern.«
    »Danke schön. Ich werde an Ihre Worte denken.« Zum Abschied reichen sie sich fest die Hand, so als wären sie alte Freunde.
    Jonas schiebt eine Grönemeyer-Kassette in den Recorder und startet den Wagen. Laut singt er mit: »... tief im Westen, wo die Sonne verstaubt ...« Warum war der Polizist so nett? War das Wortspiel mit der Wetterlage Zufall oder Absicht? Oder hatte er einfach keine Lust, auf Befehl der Stasi junge Leute zu belästigen?
    Kurz nach 15 Uhr erreicht Jonas das Zentrum von Ost-Berlin. Er parkt sein Auto auf dem Mittelstreifen der breiten Fahrbahn, die den Alexanderplatz im Norden abschließt und dann in die Karl-Marx-Alle übergeht. Gegenüber sieht er an einem kastenförmigen Neubau neben dem Hotel Stadt Berlin die Werbung der DDR-Nachrichtenagentur ADN. Jonas denkt in dem Moment an seine Kollegen in der Politikredaktion, die jeden Tag die offiziellen ADN-Texte ins Blatt rücken müssen. Ob sie hinter dem Inhalt stehen oder nicht, spielt keine Rolle. Sie haben keine Alternative.
    Am Alex gibt es ein Postamt. Jonas geht zu den Telefonzellen in der oberen Etage. Acht Schalter, alle sind besetzt, nirgendwo eine Schlange. Ein paar Schwarzafrikaner vertreiben sich die Zeit, unterhalten sich und lachen viel und laut.
    »Einmal nach West-Berlin bitte«, sagt Jonas zu einer stark geschminkten älteren Dame mit hellblond gefärbten Haaren.
    »Die Acht, bitte sehr.«
    »Und wie lange muss ich

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