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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Westfield
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warten?«
    »Kommst wohl vom Dorf, Kleiner. Geh in Kabine acht, wähl die Vorwahl 849 und dann die Nummer von deiner Süßen am Kudamm - alles klar?«
    Jonas' Herz schlägt vor Freude Saltos. Gleich wird er mit Julia reden. Sein blonder Engel. Wahnsinn! Er kramt die Rufnummer aus dem Geheimfach seines Portemonnaies. Erst die Vorwahl, dann wählt er ruhig 3169310. Es klingelt einen kurzen Moment, dann bricht das Rufzeichen ab und er hört das bekannte Ost-Freizeichen: kurz - lang - kurz. Jonas sieht Hilfe suchend zu der geschminkten Dame hinter dem Schalter.
    »Kleiner, du scheinst ja wirklich vom Dorf zu kommen. Du musst erst 'n paar Markstücke reinschmeißen und dann wählen. Kapiert?«
    Jonas nickt, findet sechs Markstücke in seinem Portemonnaie und wirft sie alle in den Münzautomaten. Es klingelt. Jetzt rennt sie zum Telefon ... Julia, ich sterbe vor Sehnsucht, wird er ihr gleich sagen.
    Plötzlich eine Männerstimme auf der anderen Seite. Der Kerl brummelt irgendwas in einem Kaugummi-Englisch, von dem Jonas kein Wort versteht.
    »Guten Tag, ich möchte Julia sprechen, Julia bitte«, ruft er in die Muschel.
    Der Mann fragt ihn irgendetwas, aber Jonas versteht wieder kein Wort. »Julia, please, Julia ...«, ruft er.
    Doch der Mann hat längst aufgelegt. Lautstark rasseln die Markstücke in den Schlund des Automaten. Jonas ist am Boden zerstört. Niedergeschlagen verlässt er die Post. Die blonde Frau hinter dem Schalter sieht ihm mitleidig hinterher.
    Jonas fährt in die Straße Unter den Linden und parkt an der Ecke Friedrichstraße. Zu Fuß geht er, die Hände in den Taschen vergraben, bis zur Absperrung vor dem Brandenburger Tor. Vor dem eisernen Gitterzaun bleibt er stehen. Es ist dunkel geworden und wieder schneit es. Keine hundert Meter sind es bis zur Grenze. Doch nicht eine Fußspur führt durch den frischen Schnee zum Brandenburger Tor. Zwischen den Säulen des Tores sieht er in der Ferne die angestrahlte Siegesgöttin leuchten. Jonas spürt eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Julia. Und er spürt seine Ohnmacht.
     

Kapitel 7
    Am Abend fährt Jonas zu seinem Freund Fred in die Wollankstraße im Ost-Berliner Stadtbezirk Pankow. Freds Wohnung liegt auf der östlichen Seite der Straße in einem ehemaligen Laden im Souterrain. Die andere Straßenseite gehört bereits zum Sperrgebiet. An der Bordsteinkante stehen Schilder: »Halt Grenzgebiet! Betreten und Befahren nur mit Passierschein erlaubt!« Ein Bewohner der östlichen Straßenseite darf den gegenüberliegenden Gehsteig nicht betreten.
    Fred und Jonas feiern ihr Wiedersehen in der Szenekneipe »1900« in Prenzlauer Berg. Jonas erzählt ausführlich von seiner Beziehung zu Julia.
    »Fred, ich hatte noch nie eine solche Sehnsucht wie nach dieser Frau.«
    »Mensch, Alter, wenn du so verknallt bist, dann wirst du früher oder später Probleme mit Ellen kriegen.«
    »Sie weiß nichts davon.«
    »Denkste, die ist blöd? Irgendwann kriegt sie's mit, und dann geht deine Familie krachen.«
    »Ich will Ellen nicht verlieren. Und Maria schon gar nicht. Sie ist voriges Jahr in die Schule gekommen.«
    Die Kellnerin serviert eine neue Runde Schwarzbier. Sie prosten sich zu und wischen sich den Schaum von den Lippen.
    »Aber ewig kannste nich Versteck spiel'n. Irgendwann musste dich entscheiden. Sonst entscheiden andere für dich. Weeßt doch, wie die Weiber sind.«
    »Das weiß ich, Fred. Aber jetzt bin ich in Berlin und will Julia wiedersehen.«
    »Dit kann ick versteh'n. Vögel sie noch mal, dann geht's dir wieder besser.«
    Irgendwann sind beide betrunken. Auf dem Weg nach Hause pinkelt Jonas in der Wollankstraße gegen ein Grenzgebiet-Schild. Sie gehen in Freds Wohnung und legen sich schlafen.
    Am Samstag wacht Jonas erst spät am Vormittag auf. Er hat in Freds Zimmer neben dem Bett auf einer Schaumgummimatratze geschlafen. Aus dem einzigen Fenster dieses Raums blickt man auf einen Hinterhof voller Mülltonnen und auf graue Häuserfassaden, von denen der Putz bröckelt. Zur Wohnung, die sich sein Freund selbst ausgebaut hat, gehören noch eine kleine Küche und ein schönes großes Badezimmer mit einer neuen Badewanne. Ganz vorn, also in Richtung Straße, kommt man in den ehemaligen Laden, der jetzt eine kleine Werkstatt ist.
    Fred hockt in seiner Werkstatt, hört Pink Floyd und schraubt gut gelaunt mit öligen Händen an einem Motorrad der Marke JAWA herum.
    »Na, haste von Julia geträumt?«
    »Ich träume nur noch von ihr.«
    Fred reibt sich seine Hände an

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