Nur Engel fliegen hoeher
an. Ian Anderson von Jethro Tüll singt »A Christmas Song«. Julia holt eine Packung Teelichter aus ihrer Tüte. »Die waren für das Hotel gedacht. Und die Bottle auch.« Dabei zaubert sie eine Flasche Sekt hervor. »Wollen wir den in der Badewanne trinken? Gibt es hier eine?«
»Ich staune über deine Einfälle.«
»Nicht so raffiniert wie deine Klosterruine.«
Gemeinsam dekorieren sie das Badezimmer mit den Teelichtern. Jonas holt zwei Sektgläser aus der Küche und dreht die Musik lauter. Julia tröpfelt ein duftendes öl in das Badewasser und streckt sich genüsslich in der großen Wanne aus. Jonas lässt den Korken knallen, Sekt schäumt ins Badewasser. Julia versucht vergeblich, ihn mit zwei Gläsern aufzufangen. Jonas hockt sich ihr gegenüber in die Wanne. Sie trinken aus der Flasche.
Sanft streicht er die Innenseiten ihrer Oberschenkel nach oben, bis seine Hände sich treffen. Julia schließt die Augen. Sie hält noch immer die Flasche der Hand. Mit der anderen tastet sie nach seinem Glied. Die Sektflasche fällt zu Boden und zerspringt mit lautem Knall in tausend Scherben.
Das Wasser ist nur noch lau, als sie sich voneinander lösen. »Julia ... Es ist wahnsinnig schön mit uns beiden.«
»Das habe ich schon auf der Klostermauer gespürt.«
»Ist das Liebe?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht nur Lust? Aber Lust und Liebe gehören zusammen.«
Jonas versucht, heißes Wasser einzulassen, aber es fließt nur lauwarmes nach. Der Elektroboiler hat sich noch nicht wieder aufgeheizt.
»Haben dir deine Genossen das warme Wasser abgedreht?« Julia kichert, richtet sich in der Wanne auf und wärmt sich die Hände über den brennenden Teelichtern.
»Das sind nicht meine Genossen, bitte sag das nicht. Lass uns ins Bett gehen.«
Sie steigen vorsichtig über Glasscherben, legen sich nackt auf das Bett und decken sich bis zur Hüfte mit den Badehandtüchern zu.
»Interessiert es dich, warum ich dich in Greifswald nicht mehr in deinem Hotel besucht habe?«
»Ich habe die ganze Nacht gewartet.«
»Dein Brief unter dem Stein auf der Klostermauer war eine geniale Idee. Ohne den hätten wir uns nie wiedergesehen.«
»Ja, wahrscheinlich ... nie wieder im Leben. Aber warum bist du nicht gekommen?«
»Ich saß in der U-Haft der Staatssicherheit in Greifswald. Erst als sie sich sicher waren, dass du weg bist, haben sie mich wieder freigelassen.«
Julia sieht ihn erschrocken an. »Mein Gott, was ist das für ein Land? Wir dürfen in kein Hotel gehen. Und wenn wir auf einer Klostermauer Spaß haben, werden wir behandelt wie Staatsfeinde.«
»In ihren Augen bist du eine Klassenfeindin, ein Stachel im Fleische des Sozialismus.«
»Sag mal, sind in diesem Lande all krank? Oder blind?«
Jonas lacht bitter.
»Warum haust du nicht ab aus diesem Scheißland?«
»Möchtest du mich von West-Berlin aus mit einer Kugel im Rücken sterben sehen?«
»Nee.«
»Möchtest du, dass aus diesem Lande alle verschwinden, die den aufrechten Gang üben?«
»Nee.«
»Genau darum bin ich noch hier. Aber es tut weh. Jeden Tag ein bisschen mehr. Am meisten schmerzt es, wenn ich die verhasste Grenze sehe. Ich kriege da jedes Mal Gänsehaut.«
Julia kramt eine Schachtel Camel und ein paar Mandarinen aus ihrer Tasche, die vor dem Bett auf dem Boden liegt, zündet zwei Zigaretten an und reicht eine Jonas. Sie nimmt einen tiefen Zug, bevor sie sagt: »Wenn du dein Leben lang schluckst, dann stirbst du von innen.«
Jonas steht auf, geht nackt zum Küchenschrank und holt einen Aschenbecher.
»Lebst du in einer Beziehung?«, fragt Julia.
»Ja. Ich bin verheiratet und habe eine achtjährige Tochter. Und du?«
»Ich lebe mit meinem Freund zusammen. Ohne Trauschein. Er ist auch Amerikaner.«
»Da haben wir uns ganz schön was eingebrockt.«
»Jonas, glaubst du an die große Liebe?«
»Julia ... Wir sehen uns das zweite Mal...«
»Ich glaube, dass viele Menschen, die zusammenleben, sich auch gern haben oder lieben. Aber eine große Liebe ist etwas anderes. Die begegnet einem, wenn man Glück hat, vielleicht ein Mal im Leben. Oder auch nie. Und dieses wahnsinnige Gefühl nimmt überhaupt keine Rücksicht, ob man selbst oder der andere verheiratet ist oder nicht.«
Jonas nimmt die Zigaretten und drückt sie im Aschenbecher aus. Er greift nach einer Mandarine und schält sie bedächtig.
»Weihnachten, Silvester und Neujahr habe ich nur an dich gedacht. Jede Sekunde«, sagt Julia. »Das war schlimm. Meine größte Angst war, dass du
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