Nur Engel fliegen hoeher
darunter sind verschlossen. Er wühlt in ihrer Ablage, hebt sie an und findet darunter den Schlüssel.
In den beiden oberen Schubfächern hat sie den wohlsortierten Inhalt der Kosmetikabteilung eines italienischen Kramladens aufbewahrt. Darunter ein Fach voller Mode- und Frauenzeitschriften. Ganz unten liegen Briefe, Postkarten und handgeschriebene Liebesgedichte. Aber Marc findet nicht, was er sucht.
Er tritt an die Regalreihen und leuchtet mit einer kleinen Taschenlampe in dem durch Jalousien verdunkelten Raum die Buchreihen ab. Auf dem polierten weißen Kunststoff liegt eine dünne Staubschicht. Regal für Regal, Etage für Etage sucht er ab. Auf dem Regal mit den Atlanten entdeckt er eine frische Spur im Staub. Er zieht einen Atlas hervor und findet dahinter den Umschlag.
Er nimmt das Kuvert, geht in sein Arbeitszimmer und schließt die Tür ab. Auf dem Umschlag klebt ein kleiner Zettel. Darauf steht getippt »Noten«. Das Kuvert ist mit braunem Paketband verklebt. Marc vergewissert sich, dass genau solches Paketband in seinem Schreibtisch liegt. Es hat exakt dieselbe Farbe und Breite.
Marc knipst seine Schreibtischlampe an und reißt die Sendung langsam und vorsichtig auf. Keine Adresse, keine Anschreiben, nichts dergleichen ist darin. Auch keine Noten. Der Inhalt besteht aus einem dicken Packen A3-großer, einmal gefalteter Kopien von Zeichnungen. Auf dem obersten Blatt haftet ein kleiner gelber Aufkleber. »Für Jonas« steht darauf. Marc erkennt sofort Julias Handschrift. Als er die Zeichnungen vor sich ausbreitet, tritt Entsetzen in seine Augen. Er kennt jedes Blatt. Es sind die Kopien seiner eigenen Konstruktionszeichnungen für seinen ersten Flugdrachen, den er sich Vorjahren gebaut hat. Sämtliche Maßangaben sind von ihm selbst von Hand eingetragen, auch alle Detailzeichnungen für die Verbindungen der Aluprofile sind dabei. Und nicht zuletzt liegt in der Sendung auch der verkleinerte Schnittbogen für das Segel.
Er greift in seine Schreibtischschublade und kramt eine Schachtel Camel hervor. Obwohl in seinem Büro ein No-Smo-king!-Schild hängt und er militanter Nichtraucher ist, steckt er sich die Zigarette an, lehnt sich zurück und denkt nach.
Über eine Stunde lang sitzt er so an seinem Schreibtisch, die Füße auf der Glasplatte, und grübelt. Nachdem er die halbe Schachtel aufgeraucht hat, steht er entschlossen auf. Er vergewissert sich, dass seine Bürotür abgeschlossen ist. Dann legt er sich eine Schere, einen dünnen Faserschreiber und durchsichtiges Tape zurecht und schaltet den Kopierer ein.
Bevor er sich den Konstruktionszeichnungen widmet, ruft er bei Julia an. »Sorry, Darling, ich habe noch ein paar Stunden zu tun. Komme dann irgendwann in der Nacht.«
Kapitel 25
Der Juni 1989 verspricht einen heißen Sommer. Am Freitag schließt die Bibliothek der US-Botschaft bereits um 14 Uhr. Bianca Bosetti Franco verlässt in kurzem weißen Rock und rosafarbener Bluse das Missionsgebäude, geht zwanzig Minuten zu Fuß und nimmt vom Alexanderplatz die U-Bahn zur Schönhauser Allee. Dort steigt sie in die nächste S-Bahn in Richtung Pankow-Heinersdorf um. Der Zug passiert in voller Fahrt den durch hohe Sperranlagen geteilten Bahnhof Bornholmer Straße. An der S-Bahnstation Pankow steigt sie aus. Sie vergewissert sich, dass ihr niemand folgt, und geht zu der Adresse in der Wollankstraße.
Sie klopft an die Tür des kleinen Ladens. Fred ruft: »Hereinspaziert! Die Tür ist offen!«
Bianca öffnet die Ladentür und geht die drei Stufen nach unten. Vor ihr steht Fred und hält einen Auspuffkrümmer in seinen ölverschmierten Händen. Der Krümmer fällt scheppernd zu Boden.
»Bianca! Bella Italia! Du hier?«
Sie lässt ihre Plastiktüte fallen und fällt ihm um den Hals. Sie reckt sich auf Zehenspitzen zu dem zwei Köpfe größeren Fred und küsst ihn auf den Mund.
»Fred, mio amore. Du hast dich überhaupt nicht verändert!«
»Aber du, Bibi. Du siehst noch schärfer aus als damals!«
»Fred, mein Herz macht einen Salto mortale.«
»Ick kann dich nicht anfassen ...«
Bianca öffnet den obersten Knopf seines karierten Hemdes und küsst ihn auf die nackte Brust. Er wischt mit einem Putzlappen seine Hände ab und streichelt ihren Nacken.
»Mach weiter, Kleine, wie damals!«
»Wirklich? Magst du das noch immer?«
»Du warst die verrücktestes Frau, die ick hatte.«
»Und du bist noch immer der größte Mann, den ich je in den Händen hatte.« Sie knöpft sein Hemd ganz auf, versucht
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