Nur wenn du mich hältst (German Edition)
bedrohlich. Man wusste nicht, wie man damit umgehen sollte. Er kam sich wie ein Idiot vor, sich von einem Kind einschüchtern zu lassen, aber er schaffte es nicht, das Unbehagen zu überwinden. Wie zum Teufel handhabten andere Leute so eine Situation?
„Ich möchte mich nicht mit dir darüber streiten“, sagte er ruhig, verständnisvoll. „Du musst deine Sachen zusammensuchen. Du willst doch nicht am ersten Tag gleich den Bus verpassen. Außer du hast deine Meinung geändert, und ich soll dich fahren.“ Er hatte es ihm angeboten, aber AJ hatte entsetzt abgelehnt.
„Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich lasse mich nicht von dir hinbringen“, murmelte AJ.
Zu Bos Erleichterung zog er missmutig seinen Parka über, stieg in die gefütterten Stiefel, die er ihm gekauft hatte, und zog die Handschuhe an.
Ermutigt von diesem Anflug von Kooperationsbereitschaft fragte er: „Hast du alles?“
„Ja, klar“, sagte AJ. „Nein … warte.“
Er rannte los, die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer, und kam kurz danach mit dem Foto von Yolanda wieder, das er in eine Tasche seines Rucksacks steckte.
Die Geste weckte in Bo den Wunsch, den Jungen in den Arm zu nehmen, ihm zu sagen, dass alles gut werden würde, aber AJ wollte keine Umarmung von ihm, und außerdem war im Moment gar nichts gut, also hielt er den Mund. Auf einer neuen Schule anzufangen war für jedes Kind schwer, er sollte das eigentlich wissen. Er hatte aufgehört, mitzuzählen, wie oft er und Stoney in ihrer Kindheit selbst dafür hatten sorgen müssen, rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Wenn ein Neuer in die Klasse kam und das Falsche trug oder ungewohnt roch oder irgendwie anders war als die anderen, war er geliefert.
„Warte! Dein Pausengeld. Du brauchst Geld für die Mittagspause.“ Er zog ein Bündel Scheine aus der Tasche und reichte AJ einen Zwanziger. „Ich habe es nicht kleiner, aber das sollte reichen, was meinst du?“
AJ zögerte, dann sagte er: „Ich glaube, ich soll eigentlich eine Lunchkarte kaufen.“
Das stimmte, Sophie hatte etwas in der Richtung erwähnt, doch er hatte nicht auf die Einzelheiten geachtet. Als sie das erste Mal über die Schule und langfristigere Pläne sprachen, hatte er sich noch in der Leugnungsphase befunden. Er war sicher gewesen, dass die ganze Situation mit AJ sich umgehend auflösen würde und die Probleme wie von Zauberhand einfach verschwänden. Es hatte einiger Tage und vieler Treffen mit Sophie bedurft, bis die Realität bei ihm angekommen war. AJ würde so schnell nirgendwo hingehen.
Bo fischte einen weiteren Zwanziger aus der Tasche. „Ich weiß nicht, was diese Karte kostet, aber besser du hast zu viel Geld mit als zu wenig.“ Wenn sich herausstellen sollte, dass er für die Essenskarte hundert Dollar hinlegen müsste, würde er das auch dankbar tun. Er würde jeden Preis bezahlen, solange AJ kooperierte. „Was noch? Haben wir alles besorgt? Stifte und Zettel? Ein … wie heißt dieses gebogene Ding doch gleich? Geodreieck?“
„Kurvenlineal“, sagte Kim, die in diesem Augenblick hereinkam. „Guten Morgen, AJ. Guten Morgen, Bo.“
In dem Moment, als sie die Küche betrat, veränderte sich die Luft. Selbst das Licht wirkte anders, als würden mit einem Mal mehr Sonnenstrahlen durch die tief hängenden Wolken scheinen. Sie sah aus wie ein Model aus einer Matratzenwerbung – gut erholt und unangestrengt schön.
„Kaffee?“, bot Bo ihr an.
„In einer Minute.“ Sie drehte sich zu AJ um und lächelte ihn an. „Da habe ich dich ja gerade noch rechtzeitig erwischt.“
Wie üblich konnte er den Blick nicht von ihr losreißen. Sie trug ein schwarzes Strickkleid mit Rollkragen, eine dunkle blickdichte Strumpfhose und hochhackige Ankle Boots. Dazu Creolen und rosafarbenen Lippenstift. Es gab für eine Rothaarige einfach nichts Besseres, als sich schwarz zu kleiden.
Sie reichte AJ einen Beutel. „Nur ein paar Sachen für die Schule“, sagte sie. „Mappen, ein Ordner und Collegeblocks. Außerdem einen Taschenrechner und ein Lineal. Ein Kurvenlineal und ein Geodreieck. Ich sage es nicht gerne, aber das wirst du vermutlich brauchen. Mathelehrer lieben es, Aufgaben mit Ecken zu stellen, oder?“ Während sie sprach, schenkte sie sich einen Kaffee ein. Fettarme Milch, kein Zucker.
„Danke.“ AJ zog einen Handschuh aus, öffnete seinen Rucksack noch einmal und stopfte den Beutel hinein.
Bo war begeistert. Sie hatte es geschafft, fast alles zu besorgen, was er im Laden vergessen hatte. Er
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