Nur wenn du mich hältst (German Edition)
vermutlich auch nicht –, aber es ist nicht das Ende der Welt.“
„Na klar, für dich nicht. Dir ist es doch vollkommen egal, ob ich zur Schule gehe. Du willst mich nur aus dem Weg haben, damit du nach Virginia fahren kannst.“
„Das ist Unsinn, AJ, und das weißt du.“ Bo hielt ihm zwei unterschiedliche Müslipackungen hin. AJ zeigte auf die in seiner linken Hand, und er füllte zwei Schalen und schnitt eine Banane in Scheiben. Mit einem Mal fiel ihm auf, dass AJ verstummt war. „Was?“, fragte er.
„Nichts.“ AJ setzte sich und wartete.
Er stellte die Müslischüsseln hin und nahm neben seinem Sohn Platz. „Iss. Du brauchst was im Magen.“
„Ich bin nicht hungrig. Mir ist schlecht.“
Er sah tatsächlich leicht grün im Gesicht aus.
„Ich habe auch immer fürchterliches Lampenfieber, wenn ich etwas Neues ausprobieren muss“, sagte Bo und langte zu. „Ein oder zwei Mal habe ich mich sogar übergeben. Das war vor meinem ersten Spiel in der Kreisliga, als ich gerade mit der Highschool fertig war. In der Saison bin ich gleich wieder rausgeflogen, und daran gab ich meinen Nerven die Schuld. Im Rückblick glaube ich allerdings, dass ich auch ein wenig abgelenkt war.“
AJ aß einen Löffel von seinem Müsli. „Was hat dich abgelenkt?“
„Um ehrlich zu sein deine Mutter. Zu dem Zeitpunkt war sie mit ihrer Familie von Texas City nach Laredo gezogen, und ich konnte nicht aufhören, an dich zu denken, obwohl es dich eigentlich technisch gesehen gar nicht gab, weil du noch nicht geboren warst.“
AJ aß einen weiteren Löffel. „Du schaffst es trotzdem, mir die Schuld daran zu geben, dass du deine Karriere vermasselt hast.“
„Ach komm schon.“ Bo ermahnte sich, jetzt nicht defensiv zu werden. Der Junge suchte offensichtlich nach Knöpfen, die er drücken konnte, aber wenigstens aß er sein Frühstück. „Willst du die Wahrheit wissen? Ich war ein dummes Kind, das ziemlich allein auf sich gestellt war, und ich hatte Angst, dass ich dein Leben versauen könnte. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, die ganze Zeit an dich zu denken.“
AJ aß jetzt einen Löffel nach dem anderen. „Hast du eine Familie?“
„Meine Mutter – ihr Name war Trudy – ist vor fünf Jahren gestorben. Und mein großer Bruder Stoney arbeitet auf einer Ölplattform. Ich wette, er würde dich gerne kennenlernen.“ Er füllte AJs Glas auf. „Ich wünschte, ich müsste nicht gehen.“ Bo seufzte.
„Ja, klar“, erwiderte AJ. „Ich bin sicher, du würdest viel lieber hier im Schnee bleiben und meinen Babysitter spielen.“
Es gefiel ihm gar nicht, dass die Anschuldigung ein Fünkchen Wahrheit enthielt. AJs Blick würde ihn die ganze Zeit über verfolgen – dieser wütende Ausdruck, in dem tiefer Schmerz darüber durchschimmerte, betrogen worden zu sein. Er hatte ihn lange nicht gesehen, doch er erinnerte sich nur zu gut daran. Er hatte das gleiche Gesicht früher immer entdeckt, wenn er in den Spiegel schaute. Und es machte ihn wahnsinnig, weil er wusste, wie AJ sich gerade fühlte.
„Das habe ich nicht gesagt. Ich bin verpflichtet, für dieses spezielle Training in Virginia zu erscheinen. Das ist mein Beruf, AJ.“ Es ist mein Leben . „In der Zeit, wo ich weg bin, hast du Dino und alle anderen hier, die dir Gesellschaft leisten. Ehe du dich versiehst, bin ich zurück.“ Noch während er sprach, konnte Bo sich vorstellen, wie seine Worte klangen. AJs Mutter war auch eines Tages zur Arbeit gegangen und nie wieder zurückgekehrt.
Auf eine Art wusste Bo, dass dies anders war. Weder die Einwanderungsbehörde noch der Heimatschutz würden ihr Netz nach ihm auswerfen, aber auf einer tieferen Ebene war er ein weiterer Mensch, der den Jungen im Stich ließ. In seinem kurzen Leben hatte AJ seinen Großvater verloren, seine Großmutter war in ein Dorf südlich der Grenze gezogen, er war von seinem Stiefvater verlassen worden, und man hatte ihm seine Mutter weggenommen. Und jetzt plante er, sich ebenfalls aus dem Staub zu machen. Bo machte sich nicht vor, dass er persönlich eine Bedeutung für AJ hatte, aber er war vermutlich sein letzter Strohhalm.
„Alle gehen in die Schule“, sagte er. „Ohne Ausnahme. Du wirst den Tag überstehen. Vielleicht gefällt es dir sogar. Sei einfach du selbst, denn du bist ein fabelhafter Junge. Such dir neue Freunde …“
„Ich gehe nicht.“
AJs Widerstand fühlte sich an, als würde er einem Wiesel oder einem Vielfraß gegenüberstehen – überraschend und irgendwie
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