O-Män - fast fantastisch
Nachts
Das bleiche Licht des Mondes verleiht dem Ort des Geschehens unheimlichen Charme. Der alte Spielplatz im zweiten Wiener Gemeindebezirk hat seine besten Zeiten schon seit dreißig Jahren hinter sich. Die Sandkiste ist zum Hundeklo verkommen, Unkraut überwuchert die Schaukeln, und über den grauen Kies weht der Müll. Der rostige Kletterturm scheint mühsam zu atmen, böiger Wind lässt die ausgediente Wippe quietschen. Die ausgeleierten Federn der Schaukelpferde ächzen rachitisch in die Frühlingsnacht. Es gibt in Wien wahrlich schönere Plätze, aber kaum so geheime und verschwörerische.
Warm ist anders, deswegen läuft dem zierlichen Mädchen in der eigentümlichen Montur eine Gänsehaut über die Unterarme. Die maskierten Augen blicken wachsam in die Nacht. Wie ein Radarschirm sondiert das Mädchen seine Umgebung. Da, ein Geräusch! Blitzschnell ist die Maskierte auf das Schaukelgestell geturnt. Ihr Haar steht in dunkelblonden Zacken vom Kopf ab, die Zahnspange funkelt im Mondlicht. Sie horcht in die Nacht, dann springt sie mit einem Salto zu Boden. Da registrieren ihre feinen Ohren ein kaum merkliches Zischen. Sie fährt herum.
Ganz oben auf dem Kletterturm hockt eine klapperdürre ältere Dame. Wo kam die so plötzlich her? Sie trägt ein seltsames Kostüm; darin sieht sie aus wie eine Mischung aus Lämmergeier und Revuetänzerin. Der Revuegeier hustet heiser, zündet sich eine Zigarette an und bemüht sich sichtlich, nicht vom Kletterturm zu kippen. Als Zigarettenpackung und Feuerzeug in der Bauchtasche verstaut sind, hebt der Geier bedeutungsvoll die Kostümflügel: „Das Mädchen du bist, das sich nennt ‚Nachtamsel‘? Ein guter Name das ist! ‚Pfau-Woman‘ ich heiße. Aber sicher du das weißt, Kollegin!“ Das Mädchen, das sich selber „Nachtamsel“ nennt, nickt.
„Schwören du sollst, dass du bist eine Superheldin, die nur das Gute wird tun, die Freiheit wird schützen! Bewahren die Gerechtigkeit du wirst?“
Das Mädchen nickt.
„Immer links-rechts-links schauen du wirst, beim Überqueren der Straße?“
Das Mädchen nickt.
„Dann zu nicken aufhören du sollst und sagen du sollst: ‚Schwöre ich!‘“
Das Mädchen nickt und grinst: „Isch schwöre, escht!“ Ihre Zahnspange blitzt.
Der Revuegeier hüstelt.
Schlimmer geht’s nicht
Nein! So kann und wird es nicht weitergehen! Otto Odysseus Ondruschka ist mit seinem Dasein wirklich nicht zufrieden. Sein Leben stinkt ihm, total. Das liegt nicht nur daran, dass Otto in diesem Moment vom Garderobenhaken baumelt. Am Unterhosengummi, der sich schmerzhaft aus seinem Hosenbund hervorzwängt.
Nein, Gründe gibt es viele.
Grund Nummer eins: Der Schüler Pfitzner. Der Stärkste und leider auch Gemeinste in Ottos Klasse. Immer hat er mindestens einen, dem er das Leben sauer macht. Das braucht er wie die Luft zum Atmen. In diesem Schuljahr ist seine Wahl auf Otto Odysseus Ondruschka gefallen. Fast schon routinemäßig nimmt er in den Pausen Otto in den Schwitzkasten und verpasst ihm die eine oder andere Kopfnuss. Auch heute würde Otto dies mit nachsichtiger Verachtung dulden, die Kopfnüsse sind nämlich nicht das Problem. Das Problem ist vielmehr der stechende Geruch, den der Schüler Pfitzner unter seinen Achseln verströmt. „Dominator “ nennt sich der Schüler Pfitzner stolz und „Lord Lovekiss“.
Wenn Otto jenen herb-männlichen Geruch nicht hinnehmen müsste, er würde sich um die Kopfnüsse sogar anstellen, wenn die denn schon unbedingt sein müssen. Grund Nummer zwei: Was Otto viel größere Pein verursacht als der strenge Pfitznergeruch ist die Tatsache, dass die anmutige Cheyenne Blue Haselnötter nicht etwa empört den Schüler Pfitzner ohrfeigt. Oder ihn, den gedemütigten Otto, anfeuert, tapfer zu bleiben.
Oder ihm zuruft, dass sie, Cheyenne Blue, Ottos mannhaftes Ertragen des pfitznerschen Achselschweißaromas maßlos bewundert.
Aber nein! Cheyenne Blue macht die größte Kaugummiblase aller Zeiten und sieht dabei hinreißend aus. Sie begutachtet ihre langen rosa Fingernägel, leckt sich Lippenstift von den Zähnen und knautscht gelangweilt:
„Ich will auf ein Eis gehen. Häng ihn an die Garderobe, den Loser!“ Der Schüler Pfitzner lässt sich das nicht zweimal sagen.
Otto Odysseus Ondruschkas demütigendes Tagewerk ist damit aber noch lange nicht vollendet. Eine Unbill pro Tag reicht nämlich nicht.
Grund Nummer drei dafür, dass ihm sein Leben stinkt: der tägliche Spaziergang mit Hadschi-Alef-Heinz
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