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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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dieser Zeit war ich nicht Oberst, sondern einfacher Kavallerist wie Boutin. Zum Glück hingen mit dieser Affäre Details zusammen, die nur uns beiden bekannt sein konnten. Ich erzähle sie ihm und sein Glaube wächst. Und dann kommt die sonderbare Erzählung meiner seltsamen Abenteuer. Wohl waren, wie er sagte, meine Augen, meine Stimme ganz verändert, ich hatte weder Haare, noch Brauen, noch Zähne, ich war weiß wie ein Albino, und doch mußte er schließlich den Obersten im Bettler wiedererkennen, nach tausend Kreuz- und Querfragen, die ich siegreich ohne Schwanken beantwortete. Nun berichtete er mir seine Schicksalsfahrten, sie waren nicht minder seltsam als die meinen. Er kam von den Grenzen Chinas, dort hatte er durchbrechen wollen, als er aus Sibirien entkommen. Von ihm hörte ich den unseligen Feldzug nach Bußland und die erste Abdankung Napoleons. Ich habe nie einen bitterern Schmerz empfunden, als bei dieser Nachricht. Was waren wir mehr als zwei merkwürdige Ruinen, nachdem wir über den Erdball hingerollt, wie im Ozean Kiesel von einem Ende des Weltmeeres zum andern hinrollen. Wir beide hatten gesehen: Ägypten, Syrien, Spanien, das russische Reich, Holland, Deutschland, Italien, Dalmatien, England, China, die Tartarei und Sibirien. Es fehlte uns nur noch Indien und Amerika. Und endlich hier! Kurz und gut, Boutin, der besser auf den Beinen war, nahm es auf sich, voraus nach Paris zu reisen und so schnell als möglich meine Frau von meinem Zustand zu verständigen. Ich schrieb also an Frau Chabert einen Brief mit allen Einzelheiten. Es war der vierte, hören Sie wohl! Hätte ich Eltern gehabt, mir wäre all dies nicht zugestoßen. Aber ich bin ein Findelkind, ich gestehe es Ihnen frei, mein Erbe war meine Courage, meine Familie ist die ganze Welt, mein Vaterland Frankreich, mein Schutz und Schirm unser Vater im Himmel. Aber nein: ich hatte einen Vater: unsern Kaiser. Wenn er doch noch lebte, der liebe, gute, wenn er »seinen« Chabert sehen könnte (so nannte er mich), wenn er mich in meiner Lage sähe, sein Zorn wäre fürchterlich. Aber unsre Sonne ist erloschen, wer hat jetzt nicht Frost? Immerhin, die politischen Umwälzungen hätten wohl auch das Schweigen meiner Frau erklären können. Boutin reist also ab. Er war glücklich und konnte es sein, denn er besaß zwei wundervoll dressierte weiße Bären, von denen konnte er leben. Ich konnte ihn nicht begleiten. Meine Schmerzen erlaubten mir längere Reisen nicht. Als wir schieden, weinte ich. Ich begleitete ihn, solange es mir meine Krankheit gestattete, mit ihm und seinen Bären Schritt zu halten. In Karlsruhe bekam ich einen Anfall von Nervenschmerzen im Kopfe, sechs Wochen lag ich auf dem Stroh einer Herberge. Ich würde kein Ende finden, wollte ich Ihnen alles Ungemach meines Bettlerlebens erzählen. Die seelischen Leiden, gegen welche die physischen verblassen, fordern indessen weniger das Mitleid heraus, nur: man sieht sie nicht. Ich erinnere mich, vor dem Portal eines Gasthofs in Straßburg geweint zu haben, wo ich früher einmal ein Fest gegeben, nun erhielt ich nichts, nicht einmal ein Stück Brot. Ich hatte die Reiseroute, die ich einschlagen sollte, mit Boutin verabredet. Ich fragte in jedem Postbüro nach Briefen und Geld für mich. Ich kam bis nach Paris. Gefunden habe ich weder Brief, noch auch Geld. Kann ein Mensch mehr Verbitterung in sich hineinwürgen? – ›Boutin wird nicht mehr am Leben sein‹, sagte ich mir. Und tatsächlich war der Arme bei Waterloo gefallen. Ich vernahm die Kunde von seinem Tode erst später und durch Zufall. Zweifelsohne waren seine Bemühungen bei meiner Frau ergebnislos. Ich kam nach Paris am gleichen Tag wie die Kosaken. Für mich war's Kummer auf Kummer. Wenn ich Russen in Paris sah, hatte ich vergessen, daß ich keine Schuh an den Füßen, keinen Deut in der Tasche hatte. Gewiß, mein Herr, meine Kleider hingen in Fetzen an mir herab. Die Macht vor meiner Ankunft brachte ich im Walde von Claye zu. Die Nachtkälte verursachte eine Krankheit, weiß ich, welche?, deren erster Anfall mich ergriff, als ich den Faubourg Saint-Martin überquerte. Vor der Schwelle eines Eisenhändlers fiel ich ohnmächtig zusammen. Als ich erwachte, befand ich mich in einem Bett des Hospitals. Einen Monat blieb ich da, glücklich genug. Bald ward ich entlassen. Zwar ohne Geld, aber in guter Gesundheit und auf dem feinen Pflaster von Paris. Voller Freude eilte ich sofort in die Rue du Montblanc, wo meine Frau in meinem Palais
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