Oberst Chabert (German Edition)
Schweigen wirkte der Frieden besonders stark. Er faßte den Entschluß, unter den Toten zu bleiben, er scheute nicht mehr ein »authentisches« Protokoll, er fragte nur, was soll ich tun, um auf immer das Glück der kleinen Familie sicher zu gründen.
»Tun Sie, was Sie wollen,« antwortete die Gräfin, »ich erkläre Ihnen, ich will mich nicht mehr in diese Angelegenheit einmischen. Ich darf es nicht.« Seit einigen Tagen war Delbecq da. Er war wörtlich den Befehlen der Gräfin gefolgt, und so hatte er völlig sich das Vertrauen des alten Soldaten zu erwerben gewußt. Und so machte sich denn am nächsten Morgen zu früher Stunde der Oberst mit dem abgetanen Anwalt auf den Weg nach Saint Leu-Taverny, wo Delbecq bei dem Notar hatte einen Schriftsatz ausfertigen lassen. Dieses Protokoll war aber in derart wüsten Ausdrücken abgefaßt, daß der Oberst die Kanzlei schroff verließ, nachdem er das Schriftstück überflogen.
»Tausend Donner! Da wäre ich ja ein Lump! Bin ich denn ein Fälscher?« schrie er.
»Mein Herr,« sagte Delbecq, »ich rate Ihnen, sich nicht zu übereilen. Ich würde an Ihrer Stelle eine Rente von mindestens dreißigtausend Franken aus dem Prozeß herausschinden, denn die Gräfin würde sie zahlen.«
Aber der Ehrenmann blitzte den ausgedienten Schuft nur mit einem zornigen Blick an, dann eilte er fort, die Brust von tausend widerstrebenden Empfindungen zerrissen. Mißtrauen, Wut, Mitleid und Groll gingen durcheinander, bis er sich etwas beruhigte. Er trat durch eine Mauerlücke in den Park von Groslay, ging langsamen Schrittes weiter, um sich auszuruhen und endlich alles ungestört durchdenken zu können, er suchte ein kleines Zimmer auf, das oben in einem Gartenpavillon gelegen war, mit der Aussicht auf den Weg nach Saint-Leu.
Die Allee war mit feinem gelben Sande hoch bestreut, und die Gräfin, die sich zufällig in dem Gartenpavillon aufhielt, hörte nicht den Obersten kommen. Sie war zu gespannt auf den Ausgang der Unternehmung, um auch nur die mindeste Aufmerksamkeit den sachten Schritten ihres Mannes auf dem Sande zu widmen. Er aber bemerkte von seiner Seite die Gräfin erst dann, als er fast vor ihr stand.
»Nun, mein lieber Delbecq, hat er unterzeichnet?«, fragte die Gräfin ihren Intendanten, den sie jenseits der Hecke allein daherkommen sah. »Nein, Frau Gräfin. Ich weiß nicht, was in den Kerl gefahren ist. Der alte Klepper ist in die Höhe gegangen.«
»Wir müssen ihn also ins Narrenhaus sperren,« sagte sie, »wir lassen ihn nicht los, da wir ihn einmal haben.«
Der Oberst fand plötzlich seine ganze Jugendkraft wieder, er setzte in einem kühnen Sprung über die Hecke, stand in Blitzesschnelle vor dem Intendanten und knallte ihm ein so saftiges Paar Ohrfeigen auf die Backen, wie sie nur je ein Sachwalter eingesteckt hat.
»Schreibe es dir hinter die Ohren, daß die alten Klepper noch ausschlagen können!« sagte er.
Als der erste Zorn verraucht war, fühlte der Oberst nicht mehr die Kraft, über die Hecke zurückzuspringen. Er hatte die Wahrheit in ihrer ganzen abstoßenden Nacktheit gesehen. Das Wort der Gräfin und die Antwort des Intendanten hatten das Komplott entschleiert, dem er zum Opfer hatte fallen sollen. Alle Liebe und Freundschaft war nur der Köder gewesen, sich daran zu fangen. Dieser Vorfall wirkte wie ein Tropfen des schärfsten Giftes, jetzt kamen die schweren seelischen und körperlichen Leiden des Obersten wieder.
Er kehrte auf Umwegen durch das Gartentor zu dem Kiosk zurück, er kam nur mühselig weiter, ein gebrochener Mann. Es gab keinen Frieden für ihn, keine Atempause, keine Gnade. Er mußte, und zwar ohne Zögern, mit dieser Frau einen ihm von Herzensgrund verhaßten Kampf aufnehmen, von dem ihm Derville gesprochen, er mußte sich in die Ränke und Schliche der Gerichtsschikane einlassen, sich von Galle nähren, jeden Morgen seinen Kelch Bitternis trinken. Und dann, welch schrecklicher Gedanke, woher das Geld nehmen, das man für die ersten Instanzen brauchte? Das Leben ekelte ihn an, hätte er Pistolen gehabt, so hätte er sich den Schädel zertrümmert. Dann verfiel er wieder in das Schwanken und Zaudern, das seit der Unterredung mit Derville auf dem Hofe des Viehzüchters seine moralische Kraft gebrochen hatte. Endlich kam er vor dem Kiosk an, stieg in das obere Zimmer empor, aus dessen Fenstern man einen so zauberhaften Ausblick auf die schöne Landschaft hatte. Dort traf er seine Frau.
Die Gräfin sah mit vollendeter Ruhe auf die
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