Oberst Chabert (German Edition)
begann sie wieder, »haben Sie es denn nicht gefühlt, wie furchtbar schwer es mich ankam, in einer so falschen Situation mich vor einem Fremden zu zeigen? Muß ich schon über mich erröten, dann sei es wenigstens im Kreise der Meinen. Sollte dies Geheimnis nicht in unserm Herzen begraben bleiben? Sie werden mich entschuldigen, wenn ich dem Unglück eines Menschen gegenüber kalt blieb, an dessen Existenz ich zu glauben nicht vermochte. Ich habe Ihre Briefe erhalten,« sagte sie mit Lebhaftigkeit, als auf den Zügen ihres Mannes seine Gedanken klar lesbar erschienen, »ich habe sie erhalten, aber erst dreizehn Monate nach der Schlacht bei Eylau. Sie waren offen, schmutzbedeckt, die Schrift kaum zu entziffern, und da dachte ich, da schon die Unterschrift Napoleons auf meinen neuen Heiratskontrakt gesetzt war, da habe ich gedacht – es treibe ein geschickter Betrüger sein Spiel mit mir. Um nicht die Ruhe des Grafen Ferraud zu stören und die Bande der Familie zu lockern, habe ich mich gegen einen falschen Chabert zu schützen versucht. War das nicht recht, sagen Sie!«
»Ja, das war recht«, sagte er. »Ich bin der dumme Lümmel, ein Tier, eine plumpe Bestie, daß ich nicht besser die Folgen einer solchen Lage voraussehen konnte. Aber wohin führst du mich«, rief er aus, als er die Barriere von la Chapelle vor sich erblickte.
»Auf mein Landgut, bei Groslay, im Tale von Montmorency. Dort wollen wir in Ruhe darüber nachdenken, welchen Weg wir aus unseren Schwierigkeiten suchen können. Ich kenne meine Pflichten. Ich gehöre Ihnen nach dem Gesetz, aber nicht de facto. Es kann Sie doch unmöglich reizen, daß wir das Gespött von ganz Paris werden. Lassen wir die Öffentlichkeit im Dunkeln über eine Lage, die mich ein wenig lächerlich macht, und setzen wir unsere Würde obenan. Sie lieben mich noch,« sagte sie mit einem traurigen, milden Blick, »aber war ich nicht berechtigt, ein anderes Band zu knüpfen? In all diesen Widrigkeiten sagte mir eine innere Stimme, ich solle mich auf Ihre nur zu bekannte Güte verlassen. Und habe ich unrecht daran getan, Sie als einzigen und ersten Richter über mein Los entscheiden zu lassen? Seien Sie Richter und Partei in einem! Ich überliefere mich ganz dem Adel Ihres Charakters. Sie müssen mir in Ihrer Güte alles verzeihen, was aus unschuldigem Irren erwachsen ist. Ich will Ihnen nämlich gestehen, ich liebe den Grafen Ferraud. Ich glaubte, ich dürfte es. Ich erröte bei diesem Geständnis nicht vor Ihnen. Es mag Sie kränken, aber es macht Ihnen keine Schande. Tatsachen kann ich Ihnen nicht verbergen. Als das Schicksal mich zur Witwe machte, hatte ich Mutterfreuden noch nicht erfahren.«
Der Oberst machte seiner Frau mit der Hand Zeichen, um sie um Stillschweigen zu bitten, und so fuhren sie eine halbe Meile, ohne zu sprechen. Chabert glaubte die zwei Kinder vor sich zu sehen.
»Rosine?«
»Mein Herr?«
»Die Toten haben also unrecht, wiederzukommen?«
»Nein, nein, nein! Undankbar bin ich nicht. Glauben Sie das nicht! Nur vergessen Sie nicht, Sie finden eine liebende Gattin, eine Mutter, wo Sie eine Ehefrau verlassen haben. Es geht über meine Kraft, Sie zu lieben, aber ich weiß, wie unendlich viel ich Ihnen schulde, alle Neigung einer Tochter will ich Ihnen widmen.«
»Rosine,« sagte der Alte mit sanfter Stimme, »ich denke nicht mehr im Bösen an dich. Wir wollen alles vergessen«, flüsterte er mit einem Lächeln, dessen mildes Licht immer der Abglanz einer großen Seele ist. »Ich bin nicht so brutal, um Zeichen von Liebe bei einer Frau zu suchen, die mich nicht mehr liebt.«
Die Gräfin warf ihm einen Blick voll von Dankbarkeit zu, so dankbar, daß der arme Chabert am liebsten wieder in seine Totengrube zu Eylau zurückgekehrt wäre. Nur wenige Menschen haben die Kraft zu solchen Entschlüssen, aber sie werden durch das Gefühl belohnt, alles für die geliebte Person getan zu haben.
»Mein Freund,« antwortete die Gräfin, »von all dem später und mit ruhigerem Sinn.« Das Gespräch nahm eine andere Wendung, denn es war unmöglich, noch weiter über das alte Thema zu sprechen. Obwohl die Ehegatten oft auf ihre bizarre Situation zurückkamen, sei's durch Anspielungen, sei's ganz im Ernst, hatten sie doch eine reizende, kleine Reise, während deren sie einander gegenseitig die Ereignisse ihrer gemeinsamen Vergangenheit und auch die Zeiten des großen Kaisers ins Gedächtnis zurückriefen. Wie fein verstand es die Gräfin, den Erinnerungen etwas Holdes,
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