Oberst Chabert (German Edition)
hören, eine zarte Melodie zu der überirdischen Schönheit der Landschaft.
»Sie antworten nicht?« fragte der Oberst seine Frau.
»Mein Gatte...,« sagte die Gräfin, dann konnte sie nicht weiter, machte eine Pause und fuhr errötend fort, »wie soll ich ihn denn nennen, den Grafen Ferraud?«
»Nenne ihn ruhig deinen Gatten, mein armes Kind,« sagte er in seiner ganzen Güte, »ist er doch der Vater deiner Kinder.«
»Nun raten Sie mir,« begann sie von neuem, »wenn er mich fragt, was ich hier getan, wenn er erfährt, daß ich mich mit einem Unbekannten eingeschlossen habe, was ihm dann sagen? Hören Sie, mein Herr,« wiederholte sie mit ihrer ganzen Würde, »entscheiden Sie mein Los, ich bin zu allem entschlossen.«
»Meine Liebe,« sagte der Oberst und ergriff die Hände seiner Frau, »ich habe mich entschieden, mich ganz Ihrem Glück zu opfern.«
»Aber das ist unmöglich«, sagte sie mit einer krampfhaften Bewegung. »Denken Sie doch daran, daß Sie durch eine authentische Unterschrift auf sich selbst verzichten müßten...«
»Wie das?« sagte der Oberst, »genügt Ihnen nicht mein Wort?«
Die Bezeichnung »authentisch« hatte im Herzen des Alten, fast gegen seinen Willen, Mißtrauen erweckt. Er blickte seine Frau ernst an, und sie errötete unter diesem Blick. Sie mußte die Augen senken. Er hatte Angst, er müsse sie verachten. Seine Frau fürchtete, sie hätte sein Gefühl naiver Scham verletzt, die erprobte Ehrlichkeit eines Mannes, dessen edlen Charakter, dessen primitive Tugend sie kannte. Zwar hatten nun diese Gedanken leichte Wolken in den Seelen zusammengezogen, doch bald verbreitete sich wieder das Gefühl der Eintracht zwischen ihnen. Und zwar so. Ein Kinderruf ertönte in der Ferne. »Julius, lasse deine Schwester in Frieden«, rief die Gräfin.
»Wie? Ihre Kinder sind hier?«
»Ja, aber ich habe ihnen verboten, Sie zu stören.«
Der alte Soldat wußte das hohe Maß von Zartgefühl und Takt zu würdigen, das die Gräfin in ihr Benehmen gelegt, und nahm ihre Hand, um sie zu küssen.
»Lassen Sie doch die Kinder kommen«, sagte er. Das kleine Mädchen eilte herbei, um sich über den Bruder zu beklagen.
»Mama!«
»Mama!«
»Er hat...«
»Sie hat...«
Die Kinderhände streckten sich gegen die Mutter aus, und die hohen Stimmen mischten sich miteinander. Wie schön war diese Szene anzusehen!
»Arme Kinder,« rief die Gräfin und konnte ihren Tränen nicht mehr Halt gebieten, »ich muß euch verlassen. Wem wird das Gericht sie zusprechen? Eine Mutter wird sich nie auf einen Vergleich einlassen. Ich will sie haben, ich, ich allein.«
»Sind Sie es, der unser Mütterchen weinen macht?« sagte Julius und warf zornige Blicke auf den Obersten.
»Ruhe, Julius«, sagte die Mutter gebieterisch.
Die Kinder blieben still und sahen ihre Mutter und den Unbekannten mit einer Neugierde an, die Worte nicht schildern können.
»Oh, oh,« sagte sie, »wenn man mich vom Grafen Ferraud scheidet, dann lasse man mir nur meine Kinder, und ich will zu allem ja sagen.«
Das war das entscheidende Wort, das den ersehnten Effekt machte.
»Ja«, rief der Oberst, als beende er einen Satz, den er innerlich längst zu Ende gedacht »unter die Erde! Unter die Erde muß ich. Ich habe es mir schon einmal gesagt.«
»Kann ich ein solches Opfer annehmen?« antwortete die Gräfin. »Haben früher Menschen ihr Leben darangegeben, um die Ehre ihrer Geliebten zu retten, so haben sie es doch nur ein einziges Mal getan. Sie aber würden Tag für Tag Ihr Leben dahingehen. Nein, nein, das ist unmöglich. Würde es nur um Ihre Existenz gehen, dann wäre es nicht so schlimm. Aber unterzeichnen: ›Ich bin nicht Chabert‹, anerkennen: ›ich bin ein Betrüger‹, die Ehre opfern, jede Stunde des Tages eine Lüge sagen, das geht über Menschenkraft. Denken Sie es doch aus! Nein. Hätte ich nicht meine armen Kinder, ich wäre mit Ihnen längst geflohen ans andere Ende der Welt.«
»Aber,« sagte Chabert, »kann ich denn nicht hier leben, in Ihrem kleinen Pavillon, wie einer Ihrer Verwandten. Ich bin verbraucht wie eine ausgeschossene Kanone, was brauche ich mehr als ein wenig Tabak und den Constitutionel?«
Die Gräfin verlor sich in Tränen. Und nun begann zwischen ihr und dem Obersten ein Wettstreit in Edelmut, wobei der Oberst Sieger blieb. Als er nun eines Abends diese Mutter mitten unter ihren Kindern sah, konnte er dem rührenden Zauber dieses Familienbildes nicht widerstehen, hier auf dem Lande, im Dämmer, im
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