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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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bevor die Dunkelheit hereinbricht. Kurz vorher. Das Wasser umspült den Mann und seine Staffelei, nimmt sie sich allmählich, aber gewissenhaft; beide, der eine wie die andere, verharren ungerührt, einer Miniaturinsel gleich oder einem zweiköpfigen Strandgut.
    Plasson, der Maler.
    Jeden Abend kurz vor Sonnenuntergang, wenn ihm das Wasser schon bis ans Herz gestiegen ist, holt ihn ein kleines Boot ab. Er will es so. Er steigt in das Boot, bringt seine Staffelei und alles andere darin unter und läßt sich nach Hause rudern.
    Der Posten zieht ab. Sein Wachdienst ist beendet. Die Gefahr gebannt. Im Sonnenuntergang verglüht die Ikone, der es wieder nicht gelungen ist, geweiht zu werden. Alles wegen dieses Männchens mit seinen Pinseln. Nun, da er fort ist, bleibt keine Zeit mehr. Die Dunkelheit macht allem ein Ende. Nichts kann im Dunkeln wahr werden.

2
     
    … selten nur, und auf eine Weise, daß manche in den Augenblicken, in denen sie sie sahen, sich flüsternd sagen hörten:
    »Sie wird daran zugrunde gehen«, 
    oder
    »sie wird daran zugrunde gehen«, 
    oder auch
    »sie wird daran zugrunde gehen«, 
    und sogar
    »sie wird daran zugrunde gehen.«
    Ringsumher Hügel.
    Mein Land, dachte der Baron von Carewall.
     
    Es ist nicht wirklich eine Krankheit, obwohl es eine sein könnte, sondern etwas Geringeres; falls es einen Namen dafür gibt, muß es ein federleichter sein, du sagst ihn hin, und gleich ist er wie weggeweht.
    »Als sie noch ein Kind war, kam eines Tages ein Bettler vorbei und begann, ein Klagelied anzustimmen, das Klagelied scheuchte eine Amsel auf, und sie flog davon…«
    »… scheuchte eine Turteltaube auf, sie flog davon. Und das Flügelschlagen …«
    »… die Flügel schlagen fast unhörbar leise …«
    »… es muß wohl zehn Jahre her sein …«
    »… die Turteltaube fliegt an ihrem Fenster vorbei, nur ein Augenblick, einfach so, sie blickt von ihren Spielsachen auf, und, ich weiß auch nicht, Entsetzen hat sie gepackt, blankes Entsetzen, ich meine, nicht wie jemanden, der Angst hat, sondern wie jemanden, der im Begriff ist zu verschwinden …«
    »… das Flügelschlagen …«
    »… wie jemand, dem seine Seele entweicht …«
    »… glaubst du mir?«
    Sie glaubten, all das werde überstanden sein, wenn sie erwachsen wäre. Doch bis es soweit war, legten sie erst einmal überall im Schloß Teppiche aus, denn offensichtlich erschrak sie vor ihren eigenen Schritten, weiße Teppiche überall, eine Farbe, die nicht schmerzen sollte, geräuschlose Schritte und blinde Farben. Die Wege im Park waren kreisförmig angelegt bis auf eine einzige gewagte Ausnahme, zwei Alleen nämlich, die – sich in weichen, regelmäßigen Kurven biegend – sich wie Psalmen schlängelten. Was durchaus sinnvoll war, denn in der Tat genügt schon ein Minimum an Feinfühligkeit, um einzusehen, daß jeder unübersichtliche Winkel ein möglicher Hinterhalt ist: ebenso wie zwei Wege, die sich kreuzen, eine geometrische, vollkommene Gewalt ausüben können, ausreichend, um jeden, der ernsthaft mit wahrer Sensibilität ausgestattet ist, zu erschrecken, und um wieviel mehr sie, die eigentlich keine feinfühlige Seele besaß, jedoch – um es einmal klar auszudrücken – von einer unkontrollierbaren seelischen Sensibilität besessen war, ausgebrochen in irgendeinem Augenblick ihres geheimen Lebens – eines geringen Lebens, jung, wie sie war –, die ihr auf unsichtbaren Wegen ins Herz stieg und in die Augen, in die Ohren und Hände und überallhin wie eine Krankheit, die dennoch keine Krankheit war, sondern etwas Geringeres, und falls es einen Namen dafür gibt, muß es ein federleichter sein, du sagst ihn hin, und gleich ist er wie weggeweht.
    Deshalb waren die Wege im Park kreisförmig.
    Nicht zu vergessen die Geschichte mit Edel Trut, die, was die Seidenweberei anbelangte, im ganzen Land nicht ihresgleichen hatte und die ebendarum an einem Wintertag, an dem der Schnee kinderhoch lag, zum Baron bestellt wurde. Es war bitterkalt, und der Weg dorthin war die Hölle, das Pferd, das die Hufe aufs Geratewohl in den Schnee setzte, dampfte, und der Schlitten rumpelte hinterher. Ich werde wohl sterben, wenn ich in den nächsten zehn Minuten nicht ankomme, so wahr ich Edel heiße, ich sterbe, und außerdem werde ich nicht mehr erfahren, was zum Teufel der Baron mir so Wichtiges zeigen will…
    »Was siehst du, Edel?«
    Im Zimmer der Tochter steht der Baron vor der langen, fensterlosen Wand und spricht leise, mit einer

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