October Daye: Winterfluch (German Edition)
noch hege ich irgendwelche Todessehnsucht. Aber das war kein gewöhnlicher Fall. Mein Freund und Lehnsherr weinte allein in seinem hohlen Hügel wegen einer Frau, die ich mein gesamtes Leben gekannt und geachtet hatte. Zudem wurde ein kleines Mädchen vermisst, das sich gerne Pusteblumen ins Haar flocht. Da durfte ich unmöglich einfach abziehen; nicht, wenn dies meine einzige Chance sein konnte, sie zu finden.
So wich ich stattdessen in die Schatten der Büsche zurück, kniete mich hin und fuhr mit den Fingern durch das feuchte Gras. Rings um mich stieg meine Magie auf, und der Geruch von Kupfer und geschnittenem Gras erfüllte die Luft, bis sich der Zauber mit einem fast hörbaren »Klicken« festigte. Jäh schossen mir Schmerzen durch die Schläfen. Die Magie von Wechselbälgern hat ihre Grenzen, und diese zeigen sich deutlich, wenn man versucht, zu weit zu gehen. Ich hatte einen Sumpfwasserbann gemischt, eine menschliche Tarnung gewoben und wirkte nun auch noch selbst einen Sieh-nicht-her-Zauber. Zusammengenommen ergab das eine deutliche Grenzüberschreitung.
Aber die Sicherheit, die es verhieß, unbemerkt zu bleiben, war die Schmerzen wert. Das hielt ich mir vor Augen, als ich mich aufrichtete, zusammenzuckte, mir die Finger an der Jeans abwischte und Simon in den Teegarten folgte.
Der Zauber wirkte so gut, dass die junge Frau am Eintrittsschalter geradewegs durch mich hindurchschaute, als ich an ihr vorbeiging. Dasselbe galt für die Touristen, die ihre Kameras auf den Bonsai und die japanische Skulptur richteten. Ich unterdrückte ein Schaudern. Ich war der Welt der Menschen völlig entrückt, und sofern ich den Zauber nicht beendete, würde niemand wissen, dass ich hier gewesen war.
Die Wege innerhalb des Teegartens waren so schmal, dass ich Simon dichter folgen musste, um ihn im Blickfeld zu behalten. Ich verkürzte den Abstand zwischen uns und vertraute darauf, dass mich meine einfachen Trugbanne verbargen. Je mächtiger jemand ist, desto weniger achtet er auf niedere Magie. Die Spielereien von Wechselbälgern zählen zu den primitivsten Formen überhaupt. Ich setzte darauf, dass mich Simon völlig übersehen würde, weil meine Illusionen kaum hochwertig genug waren, um eine Bedrohung darzustellen.
Simon ging gute zwanzig Minuten weiter, ehe er am Fuß der gewölbten Mondbrücke stehen blieb, die das Portal zur Fae-Seite von Lilys Herrschaftsgebiet darstellte. Ich ließ mich zurückfallen und trat hinter einen Japanischen Fächerahorn. Näher hinwagen konnte ich mich nicht; damit hätte ich das Schicksal herausgefordert, Trugbanne hin, Trugbanne her: Ich würde also warten müssen. Auch er schien zu warten und ließ den Blick mit den Händen in den Hosentaschen über das Wasser wandern: der Inbegriff eines Touristen, der unsere Stadt bewunderte. Ich zwang mich, wachsam zu bleiben, während ich einer Handlung seinerseits harrte.
»Simon!«, rief eine vergnügte Frauenstimme. Plötzlich lächelnd drehte er sich um. Ich ahmte die Geste nach, sah zur Quelle der Stimme hin und erstarrte.
Sie wirkte wie ein gewöhnliches Mädchen im Teenageralter, trug hautenge Klamotten, und das schwarze Haar hing offen bis über die Hüfte hinab. Ich jedoch wusste es besser. Ich kannte ihren Namen. Oleander de Merelands: neunhundert Jahre Garstigkeit, verpackt in eine hübsche, zierliche Hülle, die nach jeder sterblichen Norm als Sechzehnjährige durchgegangen wäre. Sie war halb Tuatha de Dannan, halb Peri und ganz und gar gesundheitsgefährdend. Die Peri sind von jeher eine Rasse, der es Freude bereitet, Schmerz zu verursachen. Aber sie sind nicht geselli g – meidet man sie, wird man umgekehrt auch von ihnen gemieden. Die Tuatha hingegen genießen die Gesellschaft anderer. Oleander hatte ihre Vorliebe dafür, Leute zu verletzen, von der Peri-Seite der Familie und die Bereitschaft, auf Leute zuzugehen, von den Tuatha erhalten. Gerüchte bringen sie mit der Hälfte der Attentate der letzten hundert Jahre in Verbindung, und in der Hälfte der Königreiche, die ich zu nennen weiß, ist eine Belohnung auf ihren Kopf ausgesetzt. Die andere Hälfte ist wahrscheinlich bloß noch nicht dazu gekommen.
»Es ist so wundervoll, dich zu sehen, meine Liebe.« Simon umarmte sie und bedachte sie mit einem Kuss, der mehrere vorbeigehende Touristen veranlasste, den Blick peinlich berührt abzuwenden, zumal sie Simon als Perversen mit seiner minderjährigen Freundin wahrnahmen. Die Torquill-Brüder sind kaum fünfhundert Jahre alt;
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