Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
Prolog – Das Knäuel
Maulkin wuchtete sich unvermittelt mit einem heftigen Schlag aus dem Schlamm, der das Wasser um ihn herum wie ein Schleier verdunkelte. Fetzen seiner abgeworfenen Haut schwebten zwischen dem Sand und dem Schlamm wie die Reste eines Traums, aus dem man gerade erwacht ist. Er bildete mit seinem langen, gewundenen Körper träge eine Schleife und rieb sich an sich selbst, um so die letzten Reste der alten Haut abzuschleifen. Als sich der Bodenschlamm allmählich wieder legte, betrachtete er die etwa zwei Dutzend Seeschlangen, die sich in den angenehm kratzigen Sedimenten aalten. Er schüttelte seinen großen Kopf mit der beeindruckenden Mähne und streckte dann seinen gewaltigen Muskel der Länge nach aus. »Es ist Zeit«, dröhnte er mit seiner tiefen kehligen Stimme. »Die Zeit ist gekommen.«
Alle sahen ihn vom Meeresboden aus an. Ihre großen Augen, die grün, golden und kupfern funkelten, zwinkerten nicht.
Shreeva sprach für alle, als sie fragte: »Warum? Hier ist das Wasser warm, und es gibt reichlich Nahrung. Seit hundert Jahren gab es hier keinen Winter. Warum sollten wir jetzt fortgehen?«
Statt einer Antwort wand sich Maulkin noch einmal gemächlich um sich selbst. Seine neuen Schuppen glänzten strahlend in dem blau gefilterten Sonnenlicht. Als er sich putzte, glühten die falschen, goldenen Augen auf seiner Haut, die über seinen ganzen Körper liefen und ihn als einen von denen mit uralter Kenntnis auswiesen. Maulkin konnte sich an Dinge erinnern, Dinge aus der Zeit noch vor dieser Zeit. Seine Wahrnehmung war nicht klar und auch nicht immer logisch. Wie viele von denen, die zwischen den Zeiten gefangen waren, Kenntnis von beiden Leben hatten, sprach er oft unkonzentriert und unzusammenhängend. Er schüttelte die Mähne, bis sein Lähmungsgift in einer blassen Wolke um seinen Kopf schwebte. Er schluckte sein eigenes Gift und atmete es durch die Kiemen wieder aus, als wollte er damit unterstreichen, dass er die Wahrheit sprach. »Weil es jetzt Zeit ist!«, wiederholte er drängend. Plötzlich schoss er davon, hinauf zur Oberfläche, und überholte pfeilschnell selbst die Luftblasen. Weit oben durchbrach er die Oberfläche und segelte kurz in die Große Leere hinaus, bevor er wieder hinabtauchte. Dann umkreiste er die anderen immer wieder und die Dringlichkeit seiner Botschaft machte ihn sprachlos.
»Ein paar der anderen Knäuel sind schon fort«, meinte Shreeva nachdenklich, »wenn auch nicht alle, ja, nicht einmal die Mehrzahl. Aber es sind genug, um sie zu vermissen, wenn wir in die Große Leere hinaufsteigen, um zu singen. Vielleicht ist es Zeit.«
Sessurea schmiegte sich tiefer in den Schlamm. »Vielleicht auch nicht«, erwiderte er träge. »Ich finde, wir sollten warten, bis Aubrens Knäuel aufbricht. Aubren ist… verlässlicher als Maulkin.«
Hinter ihm fuhr Shreeva plötzlich aus dem Schlamm empor.
Das glänzende Rot ihrer neuen Haut war frappierend. Fetzen von Dunkelrot hingen immer noch an ihrem Körper. Sie riss mit dem Maul einen grossen Strang ab und schluckte ihn herunter, bevor sie sprach. »Vielleicht solltest du dich Aubrens Knäuel anschließen, wenn du Maulkins Worten misstraust. Ich jedenfalls werde ihm nach Norden folgen. Wir gehen besser zu früh als zu spät. Wenn wir zusammen mit den anderen Knäueln gehen, werden wir mit ihnen um Nahrung kämpfen müssen.«
Sie glitt geschmeidig durch den Knoten, den sie mit ihrem eigenen Körper bildete, und rieb so die letzten Reste der alten Haut ab. Sie schüttelte die Mähne und warf den Kopf zurück.
Ihr schrilles Trompeten rührte das Wasser auf. »Ich komme, Maulkin! Ich folge dir!« Sie stieg auf, um sich zu ihrem Anführer zu gesellen, der immer noch über ihnen unruhig seine Kreise zog.
Eine nach der anderen hoben die übrigen großen Seeschlangen ihre langen Körper aus dem Schlamm und befreiten sich von ihren alten Häuten. Alle, selbst Sessurea, stiegen in das wärmere Wasser, unmittelbar unter der Grenze zur Fülle, und reihten sich in den Tanz des Knäuels ein. Sie würden nach Norden ziehen, zurück in die Gewässer, aus denen sie gekommen waren, vor so langer Zeit, dass sich nur noch wenige daran erinnerten.
Hochsommer
1. Von Piraten und Priestern
Kennit schlenderte an der Wasserlinie entlang, ohne auf die salzigen Wellen zu achten, die seine Stiefel umspülten und seine Fußspuren auf dem Sandstrand wegwuschen. Er hielt den Blick starr auf die gekrümmte Linie aus Seegras, Muscheln und
Weitere Kostenlose Bücher