Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
immer, das ergibt sich unterwegs.«
Wir ließen Blossom allein zurück, aber nicht für immer, und fuhren mit den Hunden auf dem Rücksitz die schmale Straße entlang. Die gewaltigen Himalaya-Zedern links und rechts standen wie eine würdevolle Prozession von Riesen da.
Ich machte mir Sorgen, das FBI, das Heimatschutzministerium oder irgendeine andere Behörde könnte Straßensperren oder wenigstens Kontrollpunkte errichten, doch wir hatten freie Fahrt. Wahrscheinlich wollte man um keinen Preis die Aufmerksamkeit der Medien auf Magic Beach lenken.
Dennoch warf ich immer wieder einen Blick in den Rückspiegel, nachdem wir die Stadtgrenze in südlicher Richtung hinter uns gelassen hatten. Nach einigen Meilen wurde der Nebel ein wenig dünner, weil die Landschaft hier trockener war.
Als ich urplötzlich nicht mehr fahren konnte und anhalten musste, war ich überrascht, wie die Welt unter mir wegsackte. Es war ein Gefühl, wie von einer Klippe zu fallen und den Boden nicht zu sehen.
Annamaria zeigte sich mitnichten überrascht. »Ich fahre«,
sagte sie und half mir dabei, um den Wagen herumzugehen und mich auf den Beifahrersitz zu setzen.
Ich musste unbedingt ganz klein werden, deshalb beugte ich mich vor und schlug die Hände vors Gesicht. So klein musste ich sein, dass man mich nicht bemerkte, und mein Gesicht musste ich bedecken, damit man es nicht sah.
In den vergangenen Stunden hatte ich zu viel vom Meer in mich aufgenommen, und das musste ich nun loswerden.
Von Zeit zu Zeit nahm Annamaria eine Hand vom Lenkrad, um sie mir auf die Schulter zu legen, und gelegentlich sagte sie etwas, um mich zu trösten.
Sie sagte: »Dein Herz leuchtet, du komischer Kauz.«
»Nein. Du weißt ja gar nicht … was darin ist.«
Und später: »Du hast ganze Städte gerettet.«
»Das Töten. Ihre Augen. Ich sehe sie.«
»Städte, du komischer Kauz. Richtig große.«
Sie konnte mich nicht trösten, und ich hörte mich wie aus weiter Ferne sagen: »Alle tot, tot, tot«, als könnte ich durch eine solche Litanei Buße tun.
Eine Stille, schwerer als Donner. Der Nebel hinter uns. Im Osten die beunruhigenden Umrisse schwarzer Hügel. Im Westen das dunkle Meer und der untergehende Mond.
»Das Leben ist schwer«, sagte sie, und diese Behauptung musste nicht begründet oder erläutert werden.
Meilen später wurde mir klar, dass diesen vier Worten sechs weitere gefolgt waren. Da war ich jedoch noch nicht bereit gewesen, sie zu hören: »Aber es war nicht immer so.«
Lange vor der Morgendämmerung bog Annamaria auf einen leeren Parkplatz an einem öffentlichen Strand ein. Sie ging um den Wagen herum und öffnete meine Tür.
»Die Sterne, du komischer Kauz. Wie schön die sind. Zeigst du mir wohl das Sternbild Kassiopeia?«
Eigentlich konnte sie es nicht wissen, doch sie wusste es. Ich fragte nicht, warum. Dass sie es wusste, war tröstlich genug.
Nebeneinander standen wir auf dem rissigen Asphalt, während ich den Himmel absuchte.
Die Mutter von Stormy Llewellyn, die in deren Kindheit gestorben war, hatte Cassiopeia geheißen. Gemeinsam hatten wir oft die Punkte des Sternbilds gesucht, weil Stormy sich ihrer verlorenen Mutter dann näher fühlte.
»Da«, sagte ich, »und da, und da«, während ich Stern um Stern die Kassiopeia der uralten griechischen Sagen zeichnete und in dem vertrauten Muster die Mutter meiner toten Liebsten erkannte. In der Mutter aber sah ich auch die Tochter da oben, hell funkelnd, deren zeitloses Licht auf mich herabschien, bis ich eines Tages ebenfalls aus der Zeit trat und mich zu ihr gesellte.
Das Böse lauert, wo niemand es erwartet
Ein einsames Kloster in den Bergen von Nevada: Dies scheint Odd Thomas nach dem gewaltsamen Tod seiner Freundin der ideale Ort der Ruhe und Zuflucht zu sein. Doch dann verschwindet ein Mönch spurlos. Und Bodachs tauchen auf, bösartige Schattenwesen und Vorboten blutiger Katastrophen. Schattennacht ist der dritte Roman um Odd Thomas, »die faszinierendste Figur, die Dean Koontz je erschaffen hat« ( The New York Times ).
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel ODD HOURS bei Bantam Books, N.Y.
Copyright © 2008 by Dean Koontz Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Werner Bauer
Herstellung: Helga Schörnig
Gesetzt aus der Aldus bei Leingärtner, Nabburg
eISBN : 978-3-641-03422-1
www.heyne.de
www.randomhouse.de
Weitere Kostenlose Bücher