Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
aussteigen und in die Halle laufen, mit Rachel auf den Fersen. Er hatte nur einen Gedanken, denselben wie in jener Nacht, als er über Mrs Groartys Hof gerannt war und «Paul! Paul!» gerufen hatte. Bestimmt hatte dieses Rollkommando Paul mitgenommen; wie konnte Bunny ihn retten?
    Schon unter der Tür sah er einen blutüberströmten Mann mit einer riesigen, klaffenden Wunde an der Stirn; der stolperte herum, weil er nichts sehen konnte, und heulte: «Diese Scheißkerle, diese Scheißkerle!» Ein anderer gleich neben ihm hatte eine aufgeschlitzte Hand, und eine Frau zerriss ihren Rock, um einen Verband daraus zu machen. Am Boden lag ein kleines Mädchen und schrie vor Qual, weil jemand ihr die Strümpfe auszog und das rohe Fleisch mitging. «Die haben sie in den Kaffee geschmissen», drang eine Stimme in Bunnys Ohr. «Herrgott noch mal, sie haben die Kinder in den kochenden Kaffee geworfen!»
    Überall herrschte heilloses Durcheinander, die Frauen schrien hysterisch oder waren schluchzend in sich zusammengesunken. Kein Möbelstück, das die Kerle nicht zertrümmert hatten; alle Stühle waren entzweigeschlagen, das Klavier war ausgeweidet, und seine Gedärme lagen verheddert auf dem Boden. Tische waren umgekippt, Porzellan und Steingut zertrampelt, und die Kessel oder Gefäße aus Metall, in denen Kaffee gekocht worden war, hatten sie umgeworfen; nun ergoss sich der dampfende Inhalt in alle Richtungen. Doch zuvor hatten sie noch drei Kinder hineingeschleudert, eins nach dem andern, sobald die rasenden Eltern das jeweils ihre herausgezogen hatten. Das gekochte Fleisch löste sich von den Beinen, sie würden ihr Leben lang verkrüppelt sein. Eins von ihnen, ein zehnjähriges Mädchen, bekannt unter dem Namen «Wobbly-Vögelchen», hatte mit seinem bezaubernden Sopran gefühlvolle Balladen und rebellische Lieder gesungen. Der Anführer der Horde hatte sie vom Podest gestoßen und gerufen: «Wir werden dir dein verdammtes Maul schon stopfen!»
    Was sollte dieser Überfall? Den Zeitungen zufolge handelte es sich um die patriotische Empörung von Marinesoldaten. Auf einem der Schlachtschiffe hatte es eine Explosion gegeben, mehrere Männer waren getötet worden, und die Zeitungen berichteten, jemand habe einen Wobbly voller Genugtuung lachen hören. Das ist ein uralter Trick der Presse im Dienst der Herrschenden. Im alten Russland hatte man die «Schwarzen Hundertschaften» 132 mit Märchen über Ritualmorde der Juden aufgehetzt, die angeblich christliche Kinder für Menschenopfer schlachteten. Und heute fälschte die britische Regierung Briefe der Sowjetführer, um Neuwahlen durchführen zu können. In Amerika hatte sich der Abschiebungswahn auf eine Unmenge gefälschter, offiziell beglaubigter Dokumente berufen.
    Diese Zeitungen im Dienst von Recht und Ordnung behaupteten, die Horde habe sich spontan zusammengerottet. Aber eine Tatsache wurde immerhin vermerkt: Bei sämtlichen anderen Wobblies-Veranstaltungen waren immer Polizisten vor Ort gewesen, um allfällige gesetzeswidrige Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen, nur an diesem Abend hatte sich kein Polizist blicken lassen. Und auch danach fühlten sie sich nicht zuständig. Bunny und die anderen «Roten» mochten Polizeibehörde und Stadtverwaltung noch so sehr bestürmen und ihnen die Namen der Anführer nennen, es wurden keine Schritte unternommen, um jemanden für diesen blutrünstigen Überfall zu bestrafen.
    6
    Bunny rechnete nicht damit, Paul ausfindig zu machen, aber dort lag er, hingestreckt auf dem Boden, und mehrere Menschen beugten sich über ihn. Sein linkes Auge war ein einziger Blutbrei, offenbar durch einen Schlag zermalmt. Paul lag schlaff und regungslos da und reagierte nicht, als Bunny seinen Namen rief. Aber er war am Leben, sein Atem ging schwer und röchelnd.
    Einen Arzt! Einen Arzt! Es gab mehrere Ärzte in der Umgebung, und ein paar Leute liefen los, um sie zu holen. Aus seiner Zeit in Beach City kannte Bunny den Namen eines Chirurgen; er rannte zu einem Telefon und hatte Glück, der Mann war zu Hause. Bunny berichtete, was geschehen war, und der Arzt versprach, sofort zu kommen; falls der Schädel oder andere Knochen verletzt seien, brauchten sie Röntgenaufnahmen, deshalb nannte er Bunny Ärzte, die so etwas machten, und Bunny telefonierte weiter herum und sorgte dafür, dass einer von ihnen in seiner Praxis abwartete, wie sich die Dinge entwickelten. Außerdem rief er einen Krankenwagen.
    Wieder zurück in die Halle, wo Paul in unverändertem

Weitere Kostenlose Bücher