Reiterhof Birkenhain 01 - Aufregung im Stall
1. Kapitel
Das fängt ja gut an!
»Normal ist das nicht.«
Conny stützte ihre Unterarme auf das Tor zur Weide und wiederholte seufzend: »Dieses Pferd kann einfach nicht normal sein.«
Mit beiden Händen fuhr sie durch ihr dichtes, hellblondes Haar und verdrehte die Augen in gespielter Verzweiflung.
»Ziemlich frech, wie dein Rocky sich benimmt«, fand auch Luisa. Sie war auf die unterste Stange des Gatters gestiegen, um einen besseren Blick auf die Wiese zu haben. Luisa Steffen reichte ihrer Reiterfreundin mit Mühe bis zum Kinn. Aber das war auch kein Wunder -Conny war schon zwölfeinhalb und Luisa gerade erst zehn.
»Er macht mich noch fertig«, stöhnte Conny, während sie den schwarzen Traber fest im Blick behielt. Natürlich stimmte das gar nicht, denn ihre Stimme klang so zärtlich, als wollte sie einem Jungen einen Heiratsantrag machen. Conny Clasen liebte den aufsässigen Traberwallach heiß und innig. Jeder wusste das auf dem Reiterhof Birkenhain.
»Wenn ich daran denke«, erinnerte sich Luisa, während sie ihre schwarzen Haare im Nacken zu einem Zopf einflocht, »was für ein Angsthase dein Rocky war, als er von der Rennbahn zu uns kam! Dafür nimmt er sich jetzt ganz schön viel heraus.«
Auf hundert Pferdelängen Entfernung konnte man erkennen, dass Rocky das Fell juckte. Ruhelos streifte er über die Weide, rammte den anderen Schulpferden seinen Kopf in den Bauch und schnappte nach ihnen. »Geht er eigentlich noch als Reitpferd durch?« Luisa kicherte. »Oder gilt er schon als Kampftraber?«
Die Rangeleien und Rangkämpfe, die sich im ersten Morgengrauen auf der Weide abspielten, kriegten die meisten Reiter nie mit. Was ihnen da alles entging! Das Zusehen konnte spannender sein als manche Reitstunde, fanden die beiden Mädchen. Normalerweise waren Conny und Luisa aber auch nicht so früh auf dem Hof wie an diesem 1. Mai.
Normalerweise!
Aber heute war kein normaler Tag. Heute war »Tag der offenen Tür«. Ein Ereignis, dem alle schon seit Monaten entgegenfieberten. Nach langer Umbauzeit sollte der schöne, große Reiterhof in Großmoorstedt am Rande Hamburgs wieder eröffnet werden. Viel stand auf dem Spiel - für die Reitschüler, die vor Publikum zeigen mussten, was sie alles gelernt hatten. Aber mehr noch für Kai Jensen, den Besitzer der Reitschule. Ohne Übertreibung konnte man sagen, dass sich heute das Schicksal seines Reiterhofes entscheiden würde.
Obwohl Conny und Luisa zum »harten Kern« der Reitschule gehörten, ahnten sie kaum etwas von den Sorgen des Chefs, sonst wären sie heute Morgen wohl nicht so unbeschwert in den Stall gekommen.
Seit zehn Minuten hingen sie jetzt schon über dem Gatter und genossen den Blick auf die Weide, die zu dieser frühen Stunde noch unter einem weißen Nebelschleier lag.
»Irre romantisch, findest du nicht auch?« Conny war ganz hingerissen, wie die Pferdekörper sich in dem feinen Dunst abzeichneten.
»Ja wirklich.« Luisa fischte ein Gummiband aus der Hosentasche und schlang es mit geübter Drehung um das Zopfende. »Und wie toll wäre es erst ohne deinen Quälgeist Rocky! Aber ich fürchte ...«
Sie stockte und kletterte einen Holm höher, um einen noch besseren Überblick zu haben. »Ich fürchte, jetzt kriegt dein Liebling richtig Ärger.«
King Louis mochte Rockys Rüpeleien nicht länger mit ansehen. Der hellbraune Wallach zählte zwar schon weit über 30 Jahre - aber noch war er der Boss der Pferdeherde. Aufruhr auf der Wiese konnte er nicht dulden. Entschlossen galoppierte King Louis auf den Traber zu. Ein kräftiger Biss in dessen Mähnenkamm, dann hatte der Boss Rocky in der Zange und zerrte ihn neben sich über die Wiese. Quiekend vor Ärger, versuchte der Traber seinen schwarzen Nacken dem energischen Zugriff des Leitpferdes zu entwinden. Aber King Louis ließ nicht eine Sekunde locker. Nein, zimperlich gingen die Pferde nicht gerade miteinander um. Aber die Mädchen kannten die ruppigen Methoden längst und regten sich nicht mehr darüber auf. Im Gegenteil: Die Strafaktion löste bei Luisa ungebremste Heiterkeit aus. Sie hielt sich den Bauch vor Lachen.
Natürlich konnte Conny nicht mitlachen. Schließlich war King Louis' Denkzettel für Rocky geradezu entwürdigend.
»Daran ist nichts witzig, Luisa Steffen«, jammerte Conny, die mit ihrem Lieblingspferd litt. »Mein armer Traber! Hoffentlich endet dieser Morgen nicht mit einer Massenbeißerei.«
»Das fehlte gerade noch.«
Die Köpfe der Mädchen flogen herum. Wie aus dem
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