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Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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genau das meinte sie.
    «Womit denn?», rief Bunny, und sie antwortete, mit dem Riemen von einem Pferdegeschirr. «Hat er dich verletzt?»
    Ja, erwiderte sie, ziemlich schlimm, sie könne erst seit einer Woche wieder sitzen. Sie wunderte sich ein wenig über seine Empörung; ihr erschien es nicht abwegig, dass ein fast sechzehnjähriges Mädchen von seinem Pap «verdroschen» wurde. Er meinte eben, es sei zu ihrem Besten, er hielt es für seine Pflicht, ihre Seele vor dem Höllenfeuer zu bewahren. Und Bunny merkte, dass Ruth sich nicht so ganz sicher war, ob Pap nicht recht hatte.
    «Was war denn das für ein Buch?», fragte er, und sie sagte, «Das Zeitalter der Vernunft» 19 , es sei ein altes Buch, vielleicht habe Bunny schon davon gehört. Nein, Bunny hatte noch nichts davon gehört, aber er beschloss natürlich, sich ein Exemplar zu besorgen, es zu lesen und Ruth zu erzählen, was drinstand.
    Er ging zu seinem Vater zurück und machte seiner Empörung Luft, aber Dad war ganz ähnlicher Meinung wie Ruth. Natürlich sei es eine Schande, wenn ein Kind ausgepeitscht werde, weil es versuche, sich Wissen anzueignen, aber der alte Abel Watkins sei der Familienvorstand und habe das Recht, seine Kinder zu bestrafen. Dad hatte von dem Buch schon gehört, es stammte von einem berühmten «Ungläubigen» namens Tom Paine, der etwas mit der amerikanischen Revolution zu tun gehabt hatte. Dad hatte es nie gelesen, fand es aber nur zu verständlich, dass Mr Watkins sich darüber empörte. Wenn Paul solche Sachen las, war er wirklich weit gereist.
    Doch Bunny konnte sich damit nicht zufriedengeben; es war zu entsetzlich, dass Ruth verprügelt wurde, weil sie versuchte, sich ihres Verstands zu bedienen. Bunny sprach den ganzen Nachmittag davon. Es müsse doch ein Gesetz geben, das so etwas verhindere! Dad sagte, das Gesetz greife nur ein, wenn der Vater ungewöhnlich und grausam strafe. Bunny bestand darauf, dass Dad etwas tun müsse, und Dad lachte und fragte, ob Bunny wolle, dass er Ruth adoptiere. Das wollte Bunny nicht, aber er fand, Dad solle seinen Einfluss bei dem alten Mann geltend machen. Daraufhin antwortete Dad, es wäre töricht, wenn man versuchen würde, einen solchen Spinner zu überzeugen. Je mehr man argumentiere, desto hartnäckiger werde er; den Einfluss, den Dad besitze, habe er nur erlangt, weil er vorgeblich auf den Irrglauben des Alten eingegangen sei.
    Aber Bunny ließ nicht locker. Dad konnte etwas tun, wenn er wollte, und er musste unbedingt. Also dachte Dad ein wenig nach und verkündete dann: «Ich will dir sagen, was zu tun ist, mein Sohn. Wir beide müssen eine neue Religion gründen.» Bunny kannte diesen Ton – sein Vater nahm ihn auf den Arm, und so wartete er geduldig ab. Ja, sagte Dad, sie müssten das Wahre Wort verfeinern, einer der Kardinalpunkte dieser Botschaft müsse lauten, dass Mädchen niemals von Männern geschlagen werden dürften. Speziell zu diesem Thema müsse eine besondere Offenbarung stattfinden, sagte Dad, und Bunny wurde hellhörig. Dad fragte ihn nach Paul, fragte, was Paul glaube, was Paul über Ruth gesagt habe und was Ruth von sich selbst erzählt habe. Bunny merkte, dass Dad etwas vorhatte, und wartete ab.
    Sie schossen noch einige Wachteln, kehrten zurück, machten ein großes Feuer und aßen vergnügt zu Abend. Dann sagte Dad: «So, und jetzt wollen wir diese Religion stiften.» Sie wanderten zur Hütte hinunter, Dad tief in Gedanken und Bunny voller Erwartung und Neugier, denn man wusste nie, was Dad tun würde, wenn er Unfug im Sinn hatte. Jahre später würde der Junge verwundert auf diesen Moment zurückblicken. Welche Gefühle hätten sie wohl beseelt, wenn sie die Auswirkungen ihres Scherzes vorhergesehen hätten, eine «Erweckungsbewegung», die den ganzen Staat Kalifornien erschüttern sollte – oder zumindest dessen ländliche Bereiche und auch die einiger angrenzender Staaten.
    4
    Der alte Mr Watkins bat sie herzlich, hereinzukommen; Sadie und Meelie räumten ihre Stühle und setzten sich in der Zimmerecke auf eine Kiste oder so etwas. Bunny war zum ersten Mal im Innern des Watkins’schen Hauses, und ihn schauderte angesichts solcher Armut. Die Bretterwände waren hier drinnen genauso roh wie draußen, es gab einen großen, ungestrichenen Tisch, sechs ungestrichene Stühle und ein paar Regalbretter mit Geschirr, an der Wand hingen einige Töpfe, und der Herd, dem ein Bein abgebrochen war, wurde mit einem Stein gestützt. Das war alles, buchstäblich alles,

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