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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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BEHERRSCHT, IST BESSER ALS EINER,
     DER STÄDTE GEWINNT.
    Das war aus den Sprüchen Salomos, sechzehntes Kapitel.
     Gerlof hatte mit zwölf Jahren begonnen, in der Bibel zu lesen, und es seitdem nie mehr aufgegeben.
    Die jüngste Aufzeichnung bestand aus drei Zeilen, die
     noch nicht durchgestrichen waren.
    RECHNUNGEN BEZAHLEN.
    JULIA KOMMT DIENSTAGABEND.
    NOCH MAL MIT ERNST SPRECHEN.
    Die Rechnungen fürs Telefon, die Zeitschriften, den Aufenthalt im Altersheim sowie die Pflege des Grabes seiner
     Frau Ella würde er nicht vor nächster Woche bezahlen müssen.
    Julia war auf dem Weg, sie hatte am Ende ihres Gesprächs
     schließlich doch versprochen zu kommen. Er durfte das
     nicht vergessen. Er hoffte, dass sie eine Weile auf Öland bleiben würde. Nach so vielen Jahren war sie noch immer voller
     Trauer, und er wollte sie davon befreien.
    Die letzte Zeile war genauso wichtig und hatte ebenfalls
     mit Julia zu tun. Ernst war Steinmetz in Stenvik, einer der
     wenigen, die das ganze Jahr über dort wohnten. Er, Gerlof
     und ihr gemeinsamer Freund John telefonierten oft miteinander. Manchmal saßen sie auch in der Dämmerung zusammen und erzählten sich die alten Geschichten, was Gerlof
     sehr schätzte, auch wenn er die meisten schon kannte.
    Aber eines Abends vor ein paar Monaten war Ernst mit
     einer neuen Geschichte vorbeigekommen: der vom Mord an
     Gerlofs Enkelkind Jens.
    Gerlof war nicht darauf vorbereitet gewesen, diese Geschichte zu hören – er wollte eigentlich überhaupt nicht anden kleinen Jens denken –, aber Ernst hatte auf dem Bett gesessen und darauf bestanden.
    »Ich habe viel darüber nachgedacht, wie es dazu kommen
     konnte«, hatte Ernst leise gesagt.
    »Ach ja?«, hatte Gerlof gefragt, der am Schreibtisch saß.
    »Ich glaube nicht, dass dein Enkel ans Meer gegangen und
     ertrunken ist«, hatte Ernst gesagt. »Ich glaube, dass er im Nebel auf der Alvar herumgelaufen ist. Und dass er dort seinem
     Mörder begegnet ist.«
    »Seinem Mörder? Wem denn?«, hatte Gerlof gefragt.
    »Nils Kant«, hatte Ernst geantwortet. »Ich glaube, dass er
     im Nebel Nils Kant begegnet ist.«
    Gerlof hatte ihn nur angestarrt, aber der Blick seines
     Freundes war ernst geblieben.
    »Ich glaube, dass es so war«, hatte er gesagt. »Ich glaube,
     dass Nils Kant zurückgekommen ist, von wo auch immer,
     und ein weiteres Unheil angerichtet hat.«
    Mehr hatte er im Grunde nicht erzählt. Eine kurze Geschichte in der Stunde der Schatten, aber Gerlof hatte sie
     nicht vergessen können. Außerdem unterhielten sie sich jedes Mal darüber, wenn sie sich trafen. Er wartete gespannt
     auf Ernsts nächsten Besuch, um noch mehr von ihm zu erfahren.
    Gerlof blätterte in seinem Notizbuch. Die Zahl der festgehaltenen Gedanken war viel geringer als die der Erinnerungen, und ohnehin waren seine Aufzeichnungen schnell
     durchgesehen.
    Er schloss das Buch und betrachtete die sich wiegenden
     Birken in der Dunkelheit. Sie erinnerten ihn an Segel bei
     Starkwind, und von dem Gedanken war es nicht weit bis zu
     der Erinnerung an damals, als er selbst im Herbstwind an
     Deck stand und die öländische Küste langsam vorbeiglitt,
     ganz nah, sodass man die Steine und Hütten erkennen konnte oder einfach nur als ein schwarzes Band am Horizont –und als er diese Bilder heraufbeschworen hatte, klingelte
     plötzlich das Telefon.
    Gerlof ließ es noch einmal klingeln. Oft konnte er erraten,
     wer dran war; diesmal war er sich jedoch nicht sicher.
    »Davidsson.«
    Keine Antwort.
    Die Person am anderen Ende sagte kein Wort.
    Gerlof glaubte trotzdem zu wissen, was sie wollte.
    »Hier ist Gerlof«, sprach er in den Hörer, »ich habe sie bekommen. Wenn die Sandale der Grund dieses Anrufs ist.«
    Er glaubte leise Atemzüge zu hören.
    »Sie ist vor ein paar Tagen mit der Post gekommen«, sagte
     er.
    Schweigen in der Leitung.
    »Ich glaube, dass Sie sie mir geschickt haben. Warum haben Sie das getan? Wo haben Sie die Sandale gefunden?«
    Nachdem Gerlof den Hörer lange genug fest ans Ohr gepresst hatte, war ihm, als wäre er allein im Universum und
     würde der Stille des schwarzen Weltraums lauschen. Oder
     dem Meer.
    Nach etwa dreißig Sekunden hustete jemand leise.
    Dann klickte es. Der Hörer am anderen Ende war aufgelegt
     worden.

3
    J ulias ältere Schwester Lena Lundqvist hielt den Schlüsselbund fest umklammert und starrte auf das Auto, ausschließlich auf das Auto. Julia warf sie nur einen flüchtigen Blick zu,
     dann sah sie wieder

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