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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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Tannenzapfen, sie zündet an passender Stelle und zum richtigen Zeitpunkt Kerzlein an, sie nimmt mit mildem Lächeln die Wunschzettel ihrer Kinder entgegen und verzieht keine Miene, wenn die sich – unbeeindruckt von allen Erziehungsversuchen – teure Computerspiele, die AOL-Flatrate, einen Lammfellmantel und einen orangefarbenen Anstrich ihres Zimmers wünschen. Sie schmuggelt mit geheimnisvollem Gesicht die im vorweihnachtlichen Einkaufsnahkampf ergatterten Geschenke ins Haus, lässt hie und da vielversprechend ein paar Lamettafäden fallen und schwört nur ganz heimlich, still und leise, Weihnachten in der Sekunde abzuschaffen, in der die Brut volljährig ist.
    Der mit Abstand schwierigste, aber mit der höchsten Punktezahl prämiierte Teil des Tests ist die Weihnachtsbäckerei. Da ich eine Totalversagerin im Basteln von Weihnachtssternen bin, verwende ich natürlich umso mehr Ehrgeiz auf die Herstellung weihnachtlicher Naschereien. Seit meine Kinder mit der Nase über die Tischkante gucken können, gibt es bei uns das gemeinsame Plätzchenbacken, und das sieht so aus: Mutter formt, rollt und knetet kiloweise Teig, während sie munter die Lieder von der Weihnachts-CD mitpfeift. Fünf verschiedene Plätzchensorten stehen auf dem Programm: Spitzbuben, Vanillekipferl, Butter-S, Schokoplätzchen und Haselnussmakronen, allesamt nach Großmutters Rezept. Die Kinder stechen lustlos ein paar Sterne und Herzen aus, naschen ununterbrochen Teig und nölen nach zehn Minuten: »Mir ist schlecht!« Dann sind sie verschwunden, hocken vor dem Computer oder flüchten zu Freunden, wo keine vom dauerschlechten Gewissen geplagte Mutter versucht, den Gute-Mutter-Test zu bestehen. Das Ende vom Lied ist, dass ich acht Stunden allein in der Küche stehe und Plätzchen aussteche, zu Ssen forme, mit Marmelade bestreiche, ins Schokobad tauche, in Vanillezucker wälze, zum Abkühlen aufreihe, in Dosen packe.
    Danach ist mir ebenfalls schlecht, und ich teile meinen undankbaren Blagen mit, dass es nun garantiert das letzte Mal gewesen sei, dass ich mir diese Tortur angetan hätte. Daraufhin erheben sie ein lautes Geschrei,
alle
Mütter würden mit ihren Kinder Plätzchen backen, manche sogar zehn oder noch mehr Sorten! Ich wende ein, dass ein Unterschied besteht zwischen »mit den Kindern backen« und »für die Kinder backen«, aber schon ist mein schlechtes Gewissen wieder da – heißt Mutter-Sein nicht, sich auch mal aufzuopfern? Wenn ich gerade vor Zerknirschung zusammenbrechen will, klären meine Kinder mich noch schnell auf darüber, dass die Plätzchen von Ruth übrigens viel besser schmecken als meine; nächstes Mal solle ich mir doch bitte die Rezepte von ihr geben lassen.
    Solcherart für meine Mühen ausgezeichnet, wache ich geizig über meinen Dosen, denn obwohl die Kekse angeblich nicht schmecken, setzt merkwürdigerweise ein sofortiger Schwund ein. Angesichts der Höllenarbeit, die sie gemacht haben, bin ich nicht gewillt, zu dulden, dass sie innerhalb weniger Tage aufgegessen sind. Die Dosen werden also eingeschlossen, die Schlüssel versteckt. Empörte Reaktion der Kinder: Das seien ja wohl nicht allein meine Plätzchen, schließlich hätten sie die Hauptarbeit gemacht!
    Mein Widerstand ist erbittert, aber erfolglos; nach einer Woche sind alle Plätzchen weg. Einen nicht unerheblichen Teil von ihnen habe ich selbst verspeist;
mir
schmecken meine Plätzchen, und irgendwie muss ich meinen Frust schließlich bekämpfen. Eine Gewichtszunahme von eineinhalb Kilo noch vor dem zweiten Advent bestärkt mich in meinem Entschluss, im nächsten Jahr garantiert nicht mehr … na ja.
    Die Plätzchen gehen, Weihnachten kommt, irgendeine mitleidige Seele aus der Nachbarschaft hat ein paar angetrocknete Kokosmakronen vorbeigebracht, wahrscheinlich sind meine Kinder von Haus zu Haus gegangen und haben hohläugig um eine milde Gabe gebettelt, und nun redet das ganze Dorf darüber, was ich für eine Rabenmutter bin, die es nicht mal schafft, mit ihren Kindern in vorweihnachtlicher Stimmung ein paar Plätzchen zu backen. Seufz.

Schafft Weihnachten ab!
    Am 25. September, während ich bei mildem Spätsommerwetter an meiner Eistüte leckte, entdeckte ich in einem Schaufenster ein putziges Arrangement aus Christstollen, Lebkuchen und einem Weihnachtsmann.
    Geschlagene 3 Monate – DREI Monate –, also ein Vierteljahr vor dem Fest, während an den Bäumen noch Äpfel hingen und die Kastanien noch nicht reif waren, sollte ich als Konsument schon

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