Ohne jede Spur
abgeknallt aus einem vorbeifahrenden Auto. Bei der Schießerei hatte es auch eine Mutter erwischt, die zufällig mit zwei kleinen Kindern in der Nähe gewesen war – und das nur drei Straßenecken von der Bostoner Polizeidirektion in Roxbury entfernt, was bei aller Tragik einer Beleidigung gleichkam.
Die Presse stand kopf. Anwohner hatten Mahnwachen organisiert und für mehr Sicherheit auf den Straßen protestiert.
Prompt war auf Veranlassung des Polizeipräsidenten eine Taskforce eingerichtet worden, angeführt – wie hätte es anders sein können? – von D. D., denn eine hübsche Blondine würde von der Presse natürlich nicht annähernd so hart rangenommen werden wie ein Kollege im ausgebeulten Anzug.
D. D. hatte nichts dagegen gehabt. Wieso auch, dafür lebte sie schließlich. Blitzlichtgewitter, eine hysterische Öffentlichkeit und rotgesichtige Politiker. Nur zu. Sie steckte die Medienschelte weg, zog sich dann hinter verschlossene Türen zurück und trommelte ihr Team zusammen. Glaubte da tatsächlich irgend so ein Spinner, während ihrer Dienstzeit eine ganze Familie abknallen zu können? Von wegen.
Sie hatten eine Liste der üblichen Verdächtigen angelegt und gehörig Druck gemacht. Sechs Wochen später war es so weit. Sie stürmten eine verlassene Lagerhalle in Hafennähe und zerrten ihren Mann aus seinem dunklen Versteck ins grelle Sonnenlicht. Bei laufenden Kameras.
Sie und ihr Team waren für vierundzwanzig Stunden Helden. Aber der nächste Vogel würde nicht lange auf sich warten lassen, und dann ging alles wieder von vorn los, das war der Lauf der Welt. Scheißen, wischen, abspülen. Und wieder scheißen.
Sie seufzte, warf sich von einer Seite auf die andere, fuhr mit der Hand über ihre besonders fadendichten Laken und seufzte wieder. Sie musste endlich aufstehen. Duschen. Wertvolle Zeit vergeuden, um Wäsche zu waschen und das Chaos in den Griff zu bekommen, das sich auf unerklärliche Weise ihrer Wohnung bemächtigt hatte.
Wieder dachte sie an das Buffet. Und an Sex, an heißen, wilden, aufreibenden Sex. Sie wollte mit den Händen einen steinharten Arsch packen. Sie wollte, dass sich Arme wie Stahlbänder um ihre Hüften schlangen. Sie wollte Bartstoppeln zwischen den Schenkeln scheuern spüren, während ihre Fingernägel diese kühlen weißen Laken in Fetzen rissen.
Verdammt nochmal. Sie warf die Decke zurück und verließ, nur mit T-Shirt und Höschen bekleidet, frustriert das Schlafzimmer.
Sie würde in ihrer Wohnung aufräumen. Eine Runde joggen. Ein Dutzend Doughnuts essen.
Sie schaffte es in die Küche, kramte die Dose Espressobohnen aus dem Kühlschrank, fand die Kaffeemühle und machte sich an die Arbeit.
Sie war jetzt achtunddreißig – um Himmels willen –, eine engagierte Ermittlerin, die fast immer nur arbeitete, weshalb sie sich manchmal ein bisschen einsam vorkam,so ganz ohne einen strammen Gatten oder kleine Hosenscheißer auf allen vieren. Aber jetzt war es zu spät, um sich anders zu entscheiden.
Sie schüttete den frisch gemahlenen Espresso in den winzigen Goldtrichter und drückte den Schalter. Die Maschine fing zu fauchen an. Der Duft beruhigte sie ein wenig. Sie machte sich daran, Milch aufzuschäumen.
Das Loft in North End hatte sie vor drei Monaten gekauft. Es war eigentlich viel zu chic für einen Cop und für sie nur dank des implodierenden Wohnungsmarktes von Boston erschwinglich gewesen. Spekulanten hatten gebaut, aber der Markt zog nicht mit. Plötzlich bot sich auch einfachen Arbeitern wie D. D. die Chance auf ein gutes Leben. Die Wohnung gefiel ihr. Offen, luftig, minimalistisch. Und wenn sie denn einmal zu Hause war, fand sie, dass es doch ganz schön wäre, häufiger zu Hause zu sein. Nicht wirklich, nur in Gedanken.
Mit der fertig zubereiteten Latte macchiato trat sie an die Fensterfront über der geschäftigen Seitenstraße. Immer noch unruhig, wie aufgedreht. Sie mochte den Ausblick auf die Straße voller Menschen, die es eilig hatten. Jede Menge individuelle Geschichten mit kleinen Dringlichkeiten. Niemand konnte sie sehen, geschweige denn auf irgendeine Gefälligkeit anhauen. Na bitte, sie hatte dienstfrei, und doch ging das Leben weiter. Keine schlechte Lektion für eine Frau wie sie.
Sie blies in den Berg aus Milchschaum, nippte an der Tasse und spürte, wie sich die innere Spannung noch ein bisschen mehr entknotete.
Sie hätte nicht zu dieser Hochzeit gehen sollen. Punkt.Eine Frau ihres Alters sollte alle Hochzeiten und
Weitere Kostenlose Bücher