Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
und durchs Fenster schienen die Lichter des Weihnachtsbaumes von der gegenüberliegenden Wohnung. Die Nachbarn hatten ihren Baum immer bis Ende Februar herumstehen, und die bunten Lichter brannten das gesamte Wochenende über. Ein idyllisches Bild, während hier drinnen gerade meine Ehe zu zerbröckeln begann. Wie bei einem Denkmal, dessen Risse größer und größer werden und sich immer tiefer eingraben, bis es schließlich in kleine Stücke zerfällt. Ich verfiel in Panik, weil ich instinktiv spürte, dass ich es nicht aufhalten konnte.
»Aber muss es so sein?«, fragte er geistesabwesend.
»Liebst du mich denn noch?« Ich zuckte die Schultern, nur um der ganzen Situation eine Spur von Leichtigkeit zu verleihen, und ergänzte lächelnd: »So wie ein Mann eine Frau liebt.«
Christoph musste bedauerlicherweise nicht lange überlegen. »Ich glaube nicht, nein.«
Das zog mir den Boden unter den Füßen weg. Ich wusste einfach nicht, was ich darauf sagen sollte, starrte ihn deshalb nur an. Wir haben uns am Anfang unserer Ehe geschworen, uns niemals anzulügen. Wir waren jung und naiv.
»Es tut mir so leid, Evelyn.« Er hatte seit Jahren nicht mehr Evelyn gesagt. Bei meinem vollen Namen nannte er mich nur, wenn die Sache ernst war – und das war sie, daran bestand kein Zweifel. »Es ist so, dass …« Er schob den Teller von sich, starrte auf die Tischplatte und rang nach Worten. »Also, ich … Mir geht die Sache zwischen uns schon seit einiger Zeit durch den Kopf. Ich will nicht, dass du denkst, dass du irgendwas falsch gemacht hast. Oder dass ich dir wehtun möchte.« Seine Stimme wurde leiser, sanfter. »Ich glaube, wir haben unsere Ehe einfach schleifen lassen, verstehst du? Das war bestimmt ein Fehler.« Er hob den Kopf und sah mir in die Augen. »Bitte hasse mich nicht, wenn ich dir sage, dass ich mich in unserer Beziehung nur noch langweile.«
Ich hatte schon Tausende Male von Frauen in ähnlichen Situationen gehört. Manche sagten, dass ihnen schwindelig geworden wäre, andere berichteten über einen Wutanfall. Mit mir passierte nichts dergleichen. Ich saß einfach nur da und fühlte mich gedemütigt. Keine Wut, keine Schwindelanfälle. Nur unendliche Kränkung. Dann kam das erdrückende Gefühl von Traurigkeit. Nicht mehr mit Christoph leben. Sein Lachen, sein Gesicht und unsere gemeinsamen Rituale sollten endgültig der Vergangenheit angehören? Wer sollte ihm jetzt sein Gourmetessen kochen und die Berge von Wäsche für ihn waschen? Und wer würde für mich sämtlichen Papierkram erledigen und die Einkaufstüten schleppen? Ganz zu schweigen von den schönen Abenden auf der Couch, wenn Christoph im Kerzen schein meine Füße mit Babyöl massierte. Das trieb mir nun endgültig die Tränen in die Augen. Ich sank auf die Tischplatte, schlang die Arme um meinen Kopf und flennte los.
Nach einer Weile tätschelte Christoph etwas unbeholfen meinen Arm. »Ist ja gut.«
Dieser Satz brachte mich dann doch noch in Rage. Mehr als die Tatsache, dass er keinen Pfifferling mehr auf meine Liebe gab und ihn meine Anwesenheit ermüdete. Nein, nicht ermüdete; er hatte »langweilte« gesagt. »Was ist gut? Wa rum sagst du, es ist gut? Gar nichts ist gut. Red doch nicht so einen erbärmlichen Unsinn. Du hast gerade unsere Ehe beendet, Christoph! Du hast mir gesagt, dass du mich nicht mehr liebst …«
»Lyn, ich … Es tut mir leid. Ich wünschte, nichts hätte sich verändert, und wir beide …«
»Ach, halt doch dein verdammtes Maul!«, schleuderte ich ihm entgegen. Weil ich gleichzeitig weinte und hysterisch schrie, unterstrichen mit einer verzweifelten Fratze und aufgerissenem Mund, muss diese Szene sehr unattraktiv auf ihn gewirkt haben. Und ich weiß schließlich, was für ein Ästhet Christoph ist. Kurz nach unserer Hochzeit hatte er mich gebeten, niemals ungewaschen oder im Schlafanzug am Frühstückstisch zu erscheinen. Jedenfalls fühlte ich mich nach meinem Ausruf, er solle doch sein verdammtes Maul halten, wohl ähnlich wie Antjes erster Exmann Robbi, nachdem sie ihm den Laufpass gegeben hatte. Auf die Frage: »Warum?« – was er verzweifelt gebrüllt hatte, immer wieder –, meinte sie, er sei für sie keine starke männliche Schulter, an die sie sich anlehnen könne. Darauf hatte er sich melodramatisch zu Boden fallen lassen, ihr Bein umklammert und weinend erklärt, er werde sich ändern und ein starker Mann werden. Um aus der Wohnung zu kommen, war sie gezwungen gewesen, ihn hinter sich her zu
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