Oksa Pollock. Der Treubrüchige
ihr die Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, die sie braucht?«, fragte eine von ihnen.
Worauf eine hitzige Debatte über die verschiedenen Techniken der Gewinnung von Goranov-Saft und deren jeweilige Folgen für die Pflanze entbrannte.
»Die Treubrüchigen sind so grausam. Wenn sie nicht die Melktechnik anwenden, dann wird unsere Freundin das nicht überleben, garantiert. Wo sie doch sowieso schon so fürchterliche Qualen erdulden muss!«
»Wir steuern geradewegs auf das Aussterben unserer Art zu …«
Angesichts dieser düsteren Aussicht gipfelten die Emotionen in einem kollektiven Kollaps: Alle vier sanken in sich zusammen und ließen die Blätter hängen. In einer anderen Ecke des Raumes hatten sich die zarten Sensibyllen versammelt und lamentierten, getreu ihrem Ruf, ausgiebig über das katastrophale Klima. Und diesmal musste man zugeben, dass sie damit nicht ganz unrecht hatten. Eine Naturkatastrophe jagte die andere und versetzte die Welt in Angst und Schrecken: Eine ungewöhnlich warme Meeresströmung brachte die Gezeiten im Pazifik so durcheinander, dass die ganze Westküste der USA überschwemmt war. Und auch von oben kam nichts Gutes: Gewaltige Tornados rollten schonungslos über verschiedene Gegenden auf dem ganzen Globus hinweg. Die Erde litt, und je mehr sie unter ihren Qualen stöhnte, umso hartnäckiger tobten die Elemente.
»Ich hätte nie gedacht, dass es so schnell gehen würde«, murmelte Abakum, den Blick gebannt auf den Fernsehbildschirm gerichtet, über den die Bilder des weltweiten Chaos flimmerten. »Ah, da bist du ja, meine Kleine!«, unterbrach er sich, als er bemerkte, dass Oksa zu ihm getreten war.
»Glaubst du, wir schaffen es?«, fragte sie ängstlich.
Der Feenmann wandte sich ihr zu und blickte ihr tief in die Augen.
»Das müssen wir!«, stellte er in beschwörendem Ton fest. »Ich kann einfach nicht glauben, dass dies …«
Er vollendete seinen Satz nicht. Die bloße Vorstellung von dem, was er sagen wollte, schnürte ihm die Kehle zu.
»… das Ende sein soll?«, vervollständigte Oksa.
Anstatt einer Antwort legte er ihr den Arm um die Schultern und ging mit ihr zusammen zum großen Salon. Das Wackelkrakeel und der Rasando waren pausenlos unterwegs gewesen, bis alle Rette-sich-wer-kann aufgespürt waren, die zur Expedition auf die »Insel der Treubrüchigen« mitkommen sollten. Alle hatten sich inzwischen auf Leomidos walisischem Anwesen eingefunden und bildeten wenn schon keine Armee, so doch zumindest eine verschworene Gemeinschaft. Ungefähr zwanzig Personen waren zum harten Kern, bestehend aus Abakum, den Pollocks, den Knuts, den Bellangers sowie Remineszens und ihrer Enkelin Zoé, hinzugekommen. Obwohl ihnen allen ganz unterschiedliche Schicksale widerfahren waren, schweißten zwei Dinge sie zusammen: ihre gemeinsame Herkunft und vor allem die feste Entschlossenheit, ihre Kräfte zu einen, um der Jungen Huldvollen zur Rückkehr nach Edefia zu verhelfen. Die Zukunft der Erde und ihrer Bewohner hing davon ab. Gefolgt von Abakum, betrat Oksa den großen Raum, und sofort versiegten sämtliche Unterhaltungen. Alle, die sie bisher nicht persönlich kennengelernt hatten, erhoben sich von ihren Plätzen und neigten zum Ausdruck ihres Respekts den Kopf. Oksa stammelte verlegen einen Willkommensgruß und blickte Hilfe suchend zu ihrem Vater hinüber. Pavel machte ihr mit einem aufmunternden Lächeln Mut. Oksas Blick wanderte über die ihr unbekannten Gesichter, die ihr mit solcher Ehrerbietung zugewandt waren, und blieb schließlich an Gus hängen, der im dämmrigsten Winkel des Raumes neben Zoé saß. Er erweckte den Anschein, als ob er schmollte. Doch Oksa kannte ihn zu gut, um sich täuschen zu lassen: Der Zug um seinen Mund war eindeutig ein Ausdruck von Verärgerung. Oksa nahm all ihren Mut zusammen und wollte schon auf ihn zugehen, um die Freundschaft mit ihm vor aller Augen zu bestätigen. Doch nach wenigen Schritten blieb sie unvermittelt stehen. Sie wurde wie von einer unsichtbaren Kraft zurückgehalten. Verdutzt blickte sie auf: Zoé hatte wie ein Schutzengel die Hand vor sich ausgestreckt, als wolle sie ihr bedeuten, nicht weiterzugehen. Dazu schüttelte sie den Kopf. Oksa errötete bis unter die Haarwurzeln. Aber natürlich … das war wirklich nicht der passende Augenblick. Betreten machte Oksa auf dem Absatz kehrt und flüchtete sich zu ihrem Vater.
»So, nun sind wir also alle versammelt!«, verkündete Dragomira mit bewegter Stimme. »Oksa, meine Liebe,
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