Sonnenwende
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|7| Die Fahrt
»Ist nicht dein Ernst«, sagte Wladimir.
Paul: »Was?«
»Wir müssen jetzt nicht die ganze Fahrt über deine Depri-Mucke hören, oder?«
Paul hatte seinen MP3-Player angeschlossen und einen seiner Songs aus dem Hades freigelassen. Düstere E-Gitarren waberten durch das Führerhaus und mischten sich mit Stimmen aus dem Jenseits.
Paul: »Das war unser Lieblings-Song.«
Wladimir: »Du meinst wohl, deshalb hat Charlotte Schluss gemacht.«
»Da hätte ich ja gleich zu Hause bleiben können«, mischte sich Tom in das Gespräch, der sich von dem bevorstehenden Wochenende etwas Abwechslung erhofft hatte. So wie es in letzter Zeit mit Helen lief, hatte er die dringend nötig.
»Soll ich jetzt mitfahren oder nicht?«, maulte Paul. Wladimir: »Ist ja schon gut. Dann hören wir eben deine Suizid-Kollektion.«
Zufrieden legte Paul seine Füße auf die Ablage, entfernte die Folie von einer Schachtel Gauloises und gab jedem eine Zigarette. Wladimir saß am Steuer, Tom in der Mitte, er rechts. Genüsslich blies er den Rauch aus dem Fenster und blinzelte in die Sonne: »Worauf wartest du? Fahr los!«
Wladimirs Vater war gestorben. Otto. König Otto. Der König des Wissens. So nannte ihn Tom. Sie waren auf dem Weg nach Bonn, um seine Bücher abzuholen. Für ihre Fahrt hatte |8| Wladimir sich den 7,5-Tonner eines Freundes geliehen, mit dem der jede Woche einmal nach Polen fuhr, um von einem Tischler in Krakau Plagiate mitzubringen, die dann in Berlin als Originale verkauft wurden. Dock1, ein Sprayer mit bundesweiter Reputation, hatte ihn für viel Geld künstlerisch veredelt. Vorgaben hatten sie ihm nicht gemacht, er sollte sich einfach etwas Cooles einfallen lassen. Als Dock1 fertig war, gab es an dem LKW keine unbesprühte Stelle mehr, und eine der Seiten zierte auf fünf mal zwei Metern der Schriftzug »NO FUCK«. Das verstand zwar niemand, aber cool war es, auf jeden Fall.
Tom hatte sich gewundert, dass Wladimir ihn um seine Hilfe gebeten hatte. Sie kannten sich noch nicht lange. Entweder war es eine Auszeichnung, oder Wladimir hatte keine Freunde, die er hätte fragen können. Tom hatte nicht lange überlegen müssen. Er mochte Wladimir und Paul. Und er mochte das Gefühl, zu verreisen, auch wenn es, wie in diesem Fall, nur bedeutete, ein Wochenende lang gemütlich über die Autobahn zu zuckeln.
Sie waren Kompagnons – Wladimir und er. Ein schönes Wort, weil es nach erwachsen gewordenen Kumpels klang. Als Erwachsener hatte man keine »Kumpels« mehr, aber mit etwas Glück hatte man einen Kompagnon. Das war ein Kumpel, mit dem man Geld machte. Wladimir und er waren seit vier Wochen Geldmachkumpels.
Ihre größte Gemeinsamkeit war ihr Mangel an Zielstrebigkeit; das verbindende Element etwas, das beiden fehlte. In Arbeitsdingen hatten sie nicht viel Ehrgeiz entwickeln können. Eine Karriere anstreben konnte schließlich nur, wer wusste, wo er hinwollte. Wladimir fand, die Frage des Jobs war wie die der Religion – völlig überbewertet. Etwas für Menschen, die einen Halt brauchten.
Sie hatten sich im Epikur kennengelernt, als sich ihre Wege |9| zufällig an Pauls Tisch kreuzten, der einfach nur seine Ruhe haben wollte.
»Na wunderbar«, sagte Paul und bestellte bei Charlotte missmutig noch einen Kaffee. »Kennt ihr euch eigentlich schon?«
Beide verneinten.
»Dann setzt euch doch und unterhaltet euch ein bisschen, aber leise, wenn’s geht. Vielleicht nehmt ihr den Tisch da drüben. Tom, Wladimir redet am liebsten über Titten und Ärsche, Wladimir, Tom liest gerne verweste Bücher und steht auf impressionistische Klaviermusik. Ihr werdet euch lieben.«
Um das Schweigen zu brechen, berichtete Wladimir von einem eben geführten Telefonat mit einem Kunden, der angefragt hatte, ob er ihm Parkett verlegen könne. Konnte er nicht, hatte aber trotzdem zugesagt. Tom erfuhr, dass Wladimir sich bereits zu Beginn seines Studiums mit Renovierungsarbeiten über Wasser gehalten hatte. Das Studium war gegangen, die Renovierungsarbeiten waren geblieben. Tom selbst hatte gerade sein Studium beendet und kaute auf den Alternativen einer möglichen beruflichen Zukunft. Das Nächstliegende wäre gewesen, sein Hobby, das Klavierspiel, zum Beruf zu machen, aber dann hätte er für immer den Spaß daran verloren.
Wladimir: »Wenn du willst, können wir den Job ja zusammen durchziehen. Viertausend Euro, schwarz, fifty-fifty.«
Es wurden vier Wochen Arbeit und nur 2100 Euro. Tom hatte beim Abschleifen
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