Olafur Davidsson 02 - Herbstwald
internen Telefonbuch auf seinem Notebook.
Er ließ es lange klingeln, aber niemand meldete sich am anderen Ende der Leitung. Über den Kriminaldauerdienst besorgte er sich die Handynummer, aber da nahm sofort eine digitale Frauenstimme das Gespräch entgegen. Das Handy war offenbar ausgeschaltet. Davídsson hinterließ eine Nachricht und seine Telefonnummer.
Vielleicht transportiert er ja gerade irgendwelche Möbel quer durch Deutschland, dachte Davídsson, der spürte, dass es in ihm gärte. Er brauchte jetzt schnell Gewissheit, um seine Gedanken neu zu ordnen. Um sie in die richtige Richtung zu lenken.
Das Handy vibrierte auf dem ovalen Schreibtisch. Davídsson nahm das Gespräch an, ohne auf die eingeblendete Nummer zu achten.
»Ja?«
»Ólafur?« Er kannte die Stimme nicht, aber er merkte sofort, dass sie zu einer Isländerin gehörte. Es war die Art, wie sie seinen Namen sagte.
»Ja.«
»Jaa, hier ist Ragna aus dem Büro des Ríkislögreglustjóri.«
Davídsson hörte kein Knacken in der Leitung. Es klang, als wäre das Büro des isländischen Polizeikommandeurs direkt in einem der Hotelzimmer nebenan.
»Ich habe deine Nummer aus einer unserer Datenbanken. Sie wurde wohl im System gespeichert, als du einen neuen Pass beantragt hast.«
Ólafur Davídsson erinnerte sich. Er hatte vier Wochen zuvor in der Isländischen Botschaft in Berlin einen neuen Reisepass beantragen müssen, weil der alte abgelaufen war.
»Sagt dir die Sérsveit ríkislögreglustjórans etwas?«
»Die Wikingereinheit?«
»Du bist doch Ólafur, oder?« Die Frauenstimme schien misstrauisch zu werden. »Ólafur Davídsson?«
»Ja.«
»Du hast doch früher für die Icelandic Defense Force in Keflavík gearbeitet, oder?«
»Ja.«
»Und dann bist du nach Amerika gegangen und hast dort die Ausbildung beim FBI in Quantico gemacht.«
»Steht das alles in eurem System über mich?«
»Das ist der Vorteil, wenn man in einer der kleinsten Hauptstädte Europas lebt. Hier sind die Wege kurz.«
Davídsson wusste, was Ragna meinte. In Reykjavík lag alles dicht beieinander. Die Deutsche Botschaft war nur zehn Hausnummern von der Amerikanischen entfernt. Beide auf dem Laufásvegur.
»Nur, dass die Amerikaner dicke Panzersperren und Kameras um ihr Gebäude aufgestellt haben und die Deutschen nur einen dreißig Zentimeter großen Berliner Bären.«
»Ich habe die Panzersperren durchbrechen können«, sagte Ragna und lachte.
»Jetzt hast du mich ja gefunden.«
»Jaa. Also zurück zu der Víkingasveitin, wie du sie nennst. Du weißt sicher, dass unsere Antiterroreinheit am 19. Oktober 1982 gegründet wurde und dass eine enge Verbindung zum SWAT und zu den norwegischen Beredskapstroppen besteht.«
Davídsson ging durch das Zimmer, das nur vom bläulichen Licht des Bildschirms beleuchtet wurde. Die schwarze Strickjacke hatte Raumtemperatur angenommen und wurde ihm jetzt zu warm. Er zog sie aus und stellte die Klimaanlage eine Stufe höher.
»Das SWAT wird auf demselben Gelände in Quantico ausgebildet wie das FBI. Aber das weißt du wahrscheinlich auch schon.«
»Diese Verbindung zu den Amerikanern kam aber erst später. Die Idee, eine Spezialeinheit zu gründen, hatten wir schon 1976, als ein paar Terroristen ein Verkehrsflugzeug auf dem Flughafen in Keflavík in ihre Gewalt brachten und wir denen nichts entgegenzusetzen hatten. 1986 haben dann ein paar Ökoterroristen die Walfänger Hvalur 6 und 7 im Hafen von Reykjavík versenkt, und einen Tag zuvor hatten sie schon die Walfangstation am Hvalfjörður zerstört. Da war uns klar, dass wir eine Antiterroreinheit brauchten, die auch entsprechend ausgebildet ist.«
»Ich habe von der Geschichte mit den Walfängern im Morgunblaðið gelesen.«
»Gut, dass du informiert bist.«
»Ja.« Davídsson war das telefonische Katz-und-Maus-Spiel langsam satt. Er wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Vielleicht versuchte Joseph Wagner gerade einen Rückruf und kam nicht durch. Er brauchte jetzt keinen Nachhilfeunterricht in isländischer Polizeigeschichte. Er musste sich auf einen Fall konzentrieren.
»Haraldur würde dich gerne als Einsatzleiter der Víkingasveitin haben.«
»Der Polizeikommandeur möchte, dass ich seine Truppe leite?«
»Ja. Du hast eine gute Ausbildung und einen guten Ruf. Man hat uns berichtet, dass du in Deutschland sehr gute Arbeit leistest. Du bist der Richtige für diesen Job.«
Davídsson wusste, wie begehrt die Stelle war, die ihm da vom
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