Olafur Davidsson 02 - Herbstwald
Ríkislögreglustjóri angeboten wurde. Auch wenn die isländische Polizei keinen besonders guten Ruf in seiner Heimat genoss, galt das nicht für die Víkingasveitin.
Die Eliteeinheit war für die Isländer so etwas wie die letzte Bastion zwischen ihnen und dem Chaos.
Island unterhielt seit 1869 keine eigene Armee mehr. Die Amerikaner hatten 1949 versprochen, die kleine Insel im Nordatlantik zu beschützen. Sie brauchten Island als Brückenkopf zwischen ihnen und den Russen, und so konnte Island vor seinem Beitritt zur NATO die Bedingung stellen, dass sie keine eigenen Streitkräfte zu unterhalten brauchten. Aber nach dem Kalten Krieg hatten die Amerikaner kein Interesse mehr an einer teuren Streitkräftebasis mitten im Meer, und 2006 kündigten sie schließlich den Vertrag, der die Insel bis dahin in einer trügerischen Sicherheit gewogen hatte. Seither war die Víkingasveitin so etwas wie die letzte Hoffnung geworden. Die Beliebtheit änderte sich auch nicht, als sich die Einheit am Balkankrieg beteiligte und später auch in Afghanistan mitkämpfte.
»Vielleicht interessiert es dich ja, dass es seit Dezember 2003 drei Bezirke gibt, in denen die Einheiten stationiert sind. Du könntest dir aussuchen, ob du in Höfuðborgarsvæðið, in Suðurnes oder in Akureyri ein Büro haben möchtest. Akureyri wäre doch gar nicht so weit weg von deiner Heimat. Vielleicht möchtest du ja wieder in die Nähe von Siglufjörður ziehen«, sagte Ragna nach einer Weile. »Ich weiß, wie das damals nach der Ausbildung mit dir und Magnús gelaufen ist. Betrachte das hier auch als ein Angebot zur Wiedergutmachung unsererseits.«
Ragna hatte sich gut auf den Anruf vorbereitet. Sie wusste genau, welche Hebel sie in Bewegung setzen musste. Worte können sehr schnell gefährlich werden, dachte Davídsson, der jetzt in seiner Gedankenwelt feststeckte.
Er hatte sich damals das Stipendium für die FBI Academy in Quantico mit Magnús geteilt. Der damalige Polizeikommandeur hatte junge Menschen gesucht, die ein Abenteuer eingehen wollten und eine neue Ermittlungstechnik erlernten. Beide hatten die besten Voraussetzungen dafür.
Davídsson hatte an der Háskóli Íslands Psychologie und Anglistik studiert und sich sein Studium bei der Icelandic Defense Force in Keflavík finanziert.
Magnús war in Amerika geboren und sein Vater war amerikanischer Soldat – einer der wenigen, die in Island blieben, als ihre Zeit beim Militär endete.
Sie hatten sich nicht gekannt, bis sie sich auf dem über hundert Quadratkilometer großen Areal zufällig über den Weg gelaufen waren. Beide vermissten ihre Heimat und betrachteten es als Geschenk, einen Isländer in dieser fremden Welt getroffen zu haben.
Für die Freundschaft, die sich daraus entwickelte, hatte es keine Rolle gespielt, dass sie aus ganz unterschiedlichen sozialen Verhältnissen kamen.
Davídssons Eltern waren ein paar Jahre zuvor in kurzem Abstand gestorben und er hatte seine Geschwister alleine in dem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus in der Barmahlíð in Hlíðar Suður großziehen müssen. Das Geld, das Davídsson mit den Aushilfsjobs verdiente, musste reichen, um über die Runden zu kommen, während Magnús in einem schicken modernen Haus in der Ljósvallagata mit Blick auf den Tjörnin aufgewachsen war.
Nach der FBI Academy waren sie dann voller Tatendrang nach Island zurückgekehrt und brannten darauf, ihr neu erworbenes Wissen in der täglichen Arbeit anwenden zu können.
Der Ríkislögreglustjóri hatte ihnen zusammen mit dem Stipendium versprochen, dass es für jeden von ihnen eine Stelle geben würde, wenn sie die Akademie erfolgreich beendeten. Magnús sollte im Osten die gleiche Ermittlergruppe aufbauen wie Davídsson in Reykjavík, nahe bei seinen Geschwistern.
Nach ihrer Rückkehr nach Island war dann aber alles anders gekommen. Nur noch die Stelle in Reykjavík war geblieben. Im Alþingishúsið hatte man unter dem Eindruck von geringen Kriminalitätsraten und wegen der Sparzwänge beschlossen, dass ein Kriminalanalyst für Island reichen müsste.
Weder Ólafur Davídsson noch Magnús Jónsson wollten damals die Stelle annehmen. Es wäre für sie ein Verrat an der Freundschaft gewesen, die Karriere auf Kosten des anderen zu beginnen. Der Polizeikommandeur hatte deshalb ein Problem mit dem Parlament. Er hatte zwei teure Stipendien vergeben, aber keiner der beiden Stipendiaten wollte nun als Kriminalanalyst für ihn arbeiten.
Schließlich konnte der
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