Olafur Davidsson 02 - Herbstwald
durch Rufen auf sich aufmerksam, wenn überhaupt ein Besucher den Weg zu ihnen gefunden hatte.
»Ich würde gerne hier draußen auf Sie warten«, bat Hübner, der sichtlich unwohl bei dem Gedanken wurde, Spuren eines Toten zu sehen.
Schedl nickte verständnisvoll.
»Das Opfer ist eine junge Frau namens Catharina Aigner. Sie ist bereits zur Obduktion abgeholt worden. Wir haben aber Fotos, die wir Ihnen zeigen können. Auf denen können Sie auch die Lage und Position des Opfers erkennen«, sagte Hofbauer, der das Siegel mit dem bayerischen Wappen von einer grünen Holztür löste, als könnte man es an einer anderen Tür noch einmal verwenden.
»Wie ist sie ermordet worden?«, fragte Landhäuser.
»Vermutlich wurde sie erstickt«, erwiderte Hofbauer, der die Tür jetzt öffnete.
»Und warum haben Sie uns zu den Ermittlungen angefordert?«
»Der jungen Frau wurden vor ihrem Tod alle Haare vom Kopf rasiert und dann in einem Plastikbeutel über den Kopf gestülpt. Der Täter hat ihr die Tüte mit einem Gummizug um den Hals gebunden. Da wir nicht einschätzen können, ob es sich um eine politisch motivierte Tat handelt, haben wir die Operative Fallanalyse des Bundeskriminalamtes um Mithilfe gebeten.« Hofbauer gab den Weg frei und Landhäuser betrat das Haus als Erste.
Ólafur Davídsson folgte ihr durch einen schmalen Flur mit dunklem Steinboden. An der Decke hing eine altmodische Lampe, die nur wenig Licht von sich gab.
»Die Leiche wurde im Wohnzimmer gefunden. Das ist gleich hier vorne rechts«, sagte Hofbauer, der ihnen gefolgt war, während sein Kollege bei Hübner blieb.
Davídsson dachte an den Begriff ›Wohnzimmer‹, als er in der Mitte des kleinen Raumes stand. Hier erfuhr das Wort eine neue Bedeutung. Wohnlich war der Raum jedenfalls in seinen Augen nicht. Er war karg mit alten Möbeln eingerichtet, die eher auf den Sperrmüll passten als in ein Wohnzimmer.
Er stellte sich neben eine speckige Ledercouch, deren Rückenlehnen mit einem bunten Stoff überzogen worden waren, vermutlich, nachdem das Leder brüchig geworden war.
Vor einem hellen Steintisch, der auf dreieckigen Füßen stand, war mit Farbe die Silhouette eines Menschen gesprüht worden. Die Umrisse waren zum Teil auf einem grob gewebten Teppich und auf dem Holzboden zu sehen.
»Diese Hübner hat uns als Allererstes gefragt, ob die Farbe wieder rausgeht, wenn das alles hier vorbei ist«, sagte Hofbauer, der Davídssons Blicken gefolgt war.
Ólafur Davídsson kommentierte das nicht.
Er versuchte sich das Bild vorzustellen, dass die Ermittler gesehen hatten, als sie zum ersten Mal in diesem Raum gestanden hatten. Er dachte an die beiden Zehn-Krónur-Münzen in seiner Sakkotasche und hoffte, dass die Tote auch ohne sie den Styx überqueren durfte. Seitdem sein Vater gestorben war, hatte er sie immer bei sich. Er hoffte, dass sie ihm jemand auf die Augen legen würde, wenn er einmal sterben musste, damit Charon ihn in das Reich von Pluto schiffen würde.
Es war seine Art, um die Toten zu trauern, und er hoffte, dass um ihn auf die gleiche Art getrauert werden würde, wenn er von dieser Welt gehen musste.
Er hatte schon oft genug gesehen, wie nichts als ein kleiner Karton mit ein paar wenigen Habseligkeiten von einem Menschenleben übrig blieb. Alle Konten wurden gelöscht, die Wohnung wurde aufgelöst und die Erinnerung verblasste allmählich, bis nicht einmal mehr der Karton oder ein Name übrig blieb.
Davor hatte er Angst.
Bei allen, die er liebte. Bei seiner Schwester und seinem Bruder und bei sich selbst, aber auch bei allen Opfern, deren Leben er untersucht hatte und die er auf seine Art kennengelernt hatte. Auch wenn ihre Namen in den Zeitungen standen, wusste bald niemand mehr, wer sie wirklich waren. Was diese Personen ausmachte und was für Träume sie gehabt hatten, bevor sie sterben mussten.
Die ursprüngliche Vorstellung der griechischen Mythologie gefiel ihm, weil man demnach im Hades ein scheues Leben im Schattenreich führen konnte, bei dem es keine Unterschiede mehr machte, wer man früher einmal gewesen war oder wie viel man einmal besessen hatte. Er war davon überzeugt, dass jeder in seinem tiefsten Inneren diesen Traum hatte, den er nach dem Tod seiner Eltern in seiner Gefühlswelt kultiviert hatte.
»Ich brauche die Fotos von der Leiche, und geben Sie meiner Kollegin auch einen Satz. Wer hat sie hier gefunden?«, fragte er schließlich.
»Ein Nachbar, der die Wohnung darüber bewohnt. Sie hat sich wohl ein
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