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Olafur Davidsson 02 - Herbstwald

Olafur Davidsson 02 - Herbstwald

Titel: Olafur Davidsson 02 - Herbstwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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nachdem der Kriminalanalyst mit seinen Ausführungen geendet hatte.
    Erst jetzt fielen Davídsson die Papierberge in ihrem Büro auf. Das ganze Büro wirkte wie das gezähmte Chaos. Die japanischen Poster, die auch hier überall an den Wänden hingen, waren zum Teil von der Sonne ausgebleicht worden. Das Foto, das den schneebedeckten Fujiyama zeigte, hatte beinahe alle Farben verloren. Die verbliebenen Blautöne zeigten nur noch schemenhafte Umrisse des Vulkans. Auf der gegenüberliegenden Seite des Büros prasselte der Regen gleichmäßig gegen eine großflächige Fensterfront. Die Welt dahinter war verschwommen und eintönig grau.
    »Das Ganze erinnert mich an die Heike Monogatari, was soviel bedeutet wie ›Erzählungen von den Heike‹. Sind Sie bei Ihren Ermittlungen schon auf diesen Klassiker der mittelalterlichen japanischen Literatur vom Kampf der Minamoto und der Taira um die Vorherrschaft in Japan am Ende des 12. Jahrhunderts gestoßen?«
    Davídsson schüttelte stumm den Kopf und zog sein Notizbuch hervor, um darin weitere japanische Namen und Begriffe zu vermerken.
    »Der wichtigste Teil dieser Geschichte ist der Fall der stolzen Clanfamilie Heike, die im Übrigen auch Taira genannt wird und die die einflussreichen Minamoto besiegte. Obwohl die Geschichte sehr interessant ist, will ich Sie damit nicht allzu sehr langweilen.«
    Ólafur Davídsson dankte ihr mit einem Lächeln. Er hatte an diesem Tag mehr als genug über die japanische Geschichte erfahren und war schon jetzt damit überfordert, die ganzen Namen auseinanderzuhalten.
    »Interessant für Sie dürfte die tragische Heldin dieser Geschichte sein, die Kaiserin Kenrei-mon-in. Am 25. April 1185 wurde ihr Clan in der Seeschlacht von Dan-no-ura endgültig von den Minamoto geschlagen. Kenrei-mon-in stürzte sich daraufhin mit ihrem kleinen Sohn Antoku, den sie fest umklammert hielt, und den anderen überlebenden Samurais ihres Clans ins Meer, um der Schande der Niederlage zu entgehen. Ihr Sohn ertrank bei diesem Selbstmordversuch. Sie selbst wurde jedoch ausgerechnet von ihrem Erzfeind Minamoto Yoshitsune an ihren langen Haaren aus dem Wasser gezogen und damit gerettet. Der Nachname wird in Japan übrigens immer dem Vornamen vorangestellt, sodass der Retter von Kenrei-mon-in mit Vornamen Yoshitsune heißt, aber das nur nebenbei für Ihre Notizen.«
    »Das habe ich heute schon gelernt, aber danke trotzdem für den Hinweis.«
    »Kenrei-mon-in vollzieht daraufhin das rituelle Teihatsu, also das rituelle Rasieren des Kopfes, was in erster Linie bedeutet, dass sie den Eintritt in den buddhistischen Lebensweg vollzieht. Und tatsächlich wurde Kenrei-mon-in zunächst Nonne in einer einfachen Hütte in Chōraku-ji. Nach einem Erdbeben wird sie dann in das buddhistische Kloster Jakkō-in in Ōhara aufgenommen, wo sie 1192, also siebenundzwanzig Jahre später, verbittert stirbt.«
    Die Professorin sah Davídsson zu, wie er ihre letzten Worte notierte.
    »Das Teihatsu hat bei Kenrei-mon-in natürlich nicht nur die übliche religiöse Bedeutung, wie es bei jedem normalen Novizen der Fall wäre. Die Tatsache, dass sie von ihrem Erzfeind Minamoto Yoshitsune wegen ihrer langen Haaren gerettet werden konnte, dürfte in ihrem Fall besonders dazu geführt haben, dass sie das Teihatsu vollziehen wollte.«
    »Mhm.« Davídsson überlegte. Er war sich noch nicht ganz über die möglichen Zusammenhänge zwischen Lea Schirmer-Lunz und der Kaiserin Kenrei-mon-in im Klaren, abgesehen von der Rasur ihrer Haare. Er würde auf dem Weg nach Augsburg darüber nachdenken.
    »Und dieses Epos gehört zur klassischen japanischen Literatur?«
    »Jedes japanische Kind lernt die Heike Monogatari in der Schule. Dahinter verbirgt sich im Übrigen eine sehr buddhistisch geprägte Weisheit. Sozusagen eine moralische Lektion über die Folgen des Nicht-loslassen-Wollens weltlicher Begehrlichkeiten. In Japan hat das Epos daher auch einen sehr hohen symbolischen Charakter. Das Kloster Jakkō-in wird übrigens oft von einheimischen Touristen besucht, um in der Haupthalle die Skulptur von Kenrei-mon-in zu besichtigen. Daneben gibt es in dem Kloster übrigens auch eine sehr bekannte Jizō-Statue. Das ist eine besonders in Japan populäre Figur von einem buddhistischen Mönch mit kahl geschorenem Schädel. Früher sollen angeblich einmal 60.000 Mini-Jizō-Figürchen in dieser Statue aufbewahrt worden sein. Der Jizō begleitet im Buddhismus die Seelen auf ihrem Weg in die Unterwelt, so ähnlich, wie

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