Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
Armbrust wieder gegen seine Kehle zu drücken. Die Kugel durchschlug den Pfeil. Als die Sehne losschnellte, konnte sie nichts mehr ausrichten. Der Pfeil war zerbrochen, flog seitlich aus der Führung und streifte nur noch Hesses Backe. Hesse erschrak, war einen Moment unkonzentriert. Die beiden Polizisten kamen näher. Hesse reagierte augenblicklich.
Er versuchte aufzustehen und torkelte zum Rand des Daches um sich herunter zustürzen. Hell lief los, warf sich auf Hesse und zog ihn von der Dachkante weg. Sie stürzten zusammen auf die Seite. Donnernd krachten ihre Körper auf die Teerpappe. Hesse schrie auf. Schon hatte Hell seinen Ellbogen auf Hesses Kehle gepresst. Der stöhnte erneut auf. Blitzschnell war Hell über dem Mann. Er hob seine linke Faust zum Schlag. Hesse zuckte zusammen und schloss seine Augen.
„Keine Bewegung mehr, Hesse. Vorbei. Es ist vorbei, Sie haben verloren.“
Klauk trat neben sie, die Waffe im Anschlag. Hell durchsuchte Hesse nach der Glock. Nichts. „Wo ist die Pistole?“
„Habe ich unterwegs verloren“, keuchte Hesse, „Ehrlich.“
Hell zog seine Arme auf den Rücken und legte ihm Handschellen an. Dabei bemerkte er tatsächlich eine weitere blutige Stelle und ein Einschussloch in Hesses Sweatshirt.
„Klauk, rufen Sie schnell einen Notarztwagen, bitte. Eine ihrer Kugeln hat ihn getroffen.“
Rennen. Kein Verschnaufen. Eine Viertelstunde später begleiteten die Beamten die Krankentrage auf der Meinhold lag und sahen, wie sie in den Rettungshubschrauber geschoben wurde. Ein Sanitäter hielt eine Infusionsflasche hoch und reichte sie dem Kollegen in den Heli. Blitzschnell wurden die Türen geschlossen, noch nachdem der Rotor wieder auf Touren kam und das Geräusch unerträglich wurde. Hell hielt sich die Ohren zu und alle sahen, wie der Hubschrauber schräg nach vorne abhob und davonflog.
„Der Arzt hat gesagt, sie schafft es“, sagte Wendt.
„Wenn er Recht hat, muss sie sich warm anziehen. So eine Unvernunft habe ich noch nie gesehen“, meckerte Hell, doch war ihm die Sorge um ihr Leben am Gesicht abzulesen.
Ein paar Meter weiter fuhr beinahe unbemerkt der Krankentransportwagen ab, in dem Hesse lag. Er war zwar auch verletzt, doch war Meinholds Verletzung lebensgefährlich. Der Notarzt meinte, Wendt hätte ihr durch sein Eingreifen das Leben gerettet. Er hatte die ganze Zeit neben seiner Kollegin gesessen und ihr mit der bloßen Hand die Wunde zugehalten. Er hatte sogar zeitweise seinen Finger in die Wunde gesteckt. Mit großer Angst und zögerlich, ob er ihr damit Schmerzen zufügen würde. Jetzt war er froh darüber.
Hell informierte die Polizei in Hennef. Der Privatdetektiv war immer noch in der Waldhütte gefangen. Die Kollegen fuhren sofort los, um ihn aus der misslichen Lage zu befreien.
Hell fischte sich eine Zigarette aus seinem Päckchen. Drei Mal das Rädchen vom Feuerzeug drehen. Tiefer Zug. Schweigen.
Die drei Polizisten gingen nach einer Weile zurück in die Halle. Sie sahen gerade, wie der Sarg für den toten Zylau von gegenüber in die Halle getragen wurde. Die Kriminaltechniker hatten die Stelle bereits fotografiert. Zylau saß nicht mehr in der grotesken Stellung wie zuvor. Er lag auf dem Rücken. Der Jagdpfeil steckte wie ein aufrecht ragender Mast in seinem Hals. Der Gerichtsmediziner, der Doktor Beisiegel heute vertreten würde, war noch nicht anwesend. Die Sanitäter hatten Zylau bewegt, um seinen Tod definitiv zu bestätigen. Auch der Gerichtsmediziner konnte nur den Tod des Mannes bescheinigen. Die Todesursache war unanzweifelbar. Hesse hatte denjenigen erledigt, der für den Tod so vieler Tiere verantwortlich war. Ebenso wie er Lohse dafür getötet hatte. Damit hatte sich für Hesse der Kreis geschlossen. Ob die beiden Schüsse Meinholds ebenfalls tödlich gewesen waren, würde die Obduktion klären müssen.
Hell betrachtete nachdenklich die Szene. So endete es also. Einer der Techniker stellte kleine Nummern neben die Patronenhülsen und fotografierte sie. Er kniete jetzt neben der Lache mit Meinholds Blut. Auch hier stellte er eines der Nummerntäfelchen auf. Blitzlicht. Dokumentiertes Leiden. Hundertmal schon erlebt. Aber jetzt wo es um eine Kollegin ging, war das Gefühl beim Betrachten der Arbeit der Tatortermittler anders. Mitleiden. Angst. Wut.
Hell verdrängte diese Gefühle. Es gab noch etwas zu erledigen. Professionalität. Kein Platz für Sentimentalität.
Sie gingen dorthin, wo sich ein Sanitäter um Ministerialrat Culmann
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