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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jowi Schmitz
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Wegziehen hatte also auch gute Seiten. Dann brauchte ich mir die ganzen höflichen »Mein Beileid« nicht mehr anzuhören.
    Und deshalb waren wir drei Wochen nach der Trauerfeier auf unser Boot gezogen. Wir sprachen davon, die Asche selbst zu verstreuen. Offiziell ist das verboten, aber man kann sich nicht immer an die Vorschriften halten, sagt mein Vater. Wir wollten uns noch überlegen, wo und wann – ich glaube, damals fing das mit der Vorläufigkeit an.
    Wie mein Vater redete auch ich übers Verstreuen der Asche, aber eigentlich konnte ich mir nichts darunter vorstellen. Meine fröhliche, ständig singende Mutter in einem Behälter. Ihr Körper zu Asche geworden. Ich stellte mir lieber vor, die Leute vom Friedhof hätten Asche von einem Lagerfeuer in einen Behälter gefüllt und täten nur so, als wäre sie das. Damit alle ein bisschen Halt hatten. In Wirklichkeit hat sich meine Mutter in Nichts aufgelöst.
    »Lagerfeuerasche«, sagte ich und sah zu meinem Vater hinüber. Er saß weinend da, mit zwei verschiedenen Socken in der Hand. Seine Schultern bebten, doch er gab keinen Laut von sich. So sah sein schlimmster Kummer aus.
    Ich setzte mich zu ihm und strich ihm über die Hand. Manchmal dauerte es den ganzen Tag. Als hätte er einen schrecklichen Schluckauf.
    »Tu nicht so doof«, sagte ich. Seit der Trauerfeier sagten wir solche Sachen. Obwohl wir genau das Gegenteil meinten. Wir sagten auch »seit der Trauerfeier« und nicht »seit Mama tot ist«.
    Manchmal sagten wir sogar bloß »seit«, das war uns beiden lieber.
    »Selber«, schniefte mein Vater. Da zog ich ihn eng an mich.
    Im Gegensatz zu ihm habe ich immer noch nicht geweint. Besonders beim Aufwachen fühlt sich mein Kopf an, als würde er in einem Daunenkissen stecken. Eigentlich ist das gar nicht schlecht. Ich spüre einfach nicht so viel. Aber ich fürchte, auch das ist nur vorläufig. Und da, wo die Federn aufhören, sammeln sich immer mehr Tränen an, und eines Tages werde ich noch in Salzwasser ertrinken. Wahrscheinlich auch dann, wenn jede Jahreszeit einmal verstrichen ist.
     
    »Olivia Marenburg«, sagte die Frau mit der roten Brille. In der Klasse war es still geworden, alle sahen mich an. Ich stand auf und blieb neben dem Tisch stehen. So hatte ich das in meiner alten Schule gelernt. Hier war es anscheinend nicht üblich, und alle lachten.
    »Halt den Rand, Milena«, sagte Jenny, dabei hatte Milena sicher nicht als Einzige gelacht.
    Die strenge Frau streckte die Hand aus. Ich ging hin und schüttelte sie kräftig, wie meine Mutter es mir beigebracht hat.
    »Ich bin Olga Breedveld, die Schulleiterin. Dein Vater hat gerade angerufen und mir alles erklärt.«
    Hoffentlich redet die jetzt nicht von meiner Mutter, dachte ich nur. Wenn sie das nämlich tut, werde ich von einem ganzen Meer überschwemmt. Kann vielleicht nicht mehr stehen, kippe um, kann nie mehr herkommen.
    »Wie schön, Frau Breedveld. Das ist gut«, hörte ich mich sagen. »Oh, danke schön, Olga« hätte es natürlich heißen sollen, wegen diesem bescheuerten direkten Draht, aber zu spät, da waren die Worte schon raus. Die Klasse lachte mich aus, während Olga den Mund zu einem höflichen Willkommenslächeln verzog. Ich sah, wie schwer ihr das fiel. Sie hatte einen Mund, der sich als schmaler Strich am wohlsten fühlte, ganz anders als der von meiner Mutter. Stopp, nicht an sie denken!
    Olgas Mund sagte: »Herzlich willkommen«, und klappte wieder zu, als wären die Lippen danach sofort zusammengetackert worden.
    Ich setzte mich, mir dröhnte der Kopf, die Schulleiterin ging weg, und es dauerte ein paar Minuten, bis in der Klasse wieder Ruhe eingekehrt war.
    Sascha beugte sich über sein Heft und sah nicht hoch.
    Ich betrachtete meinen Stift.
    »Mathe«, sagte Jenny, »ist sehr wichtig.«
    Sie schrieb eine Aufgabe an die Tafel.
    »Wenn ich dir helfen soll …«, flüsterte Sascha.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »… musst du es sagen«, flüsterte er weiter. Und so wurde Sascha mein neuer bester Freund.

 
    3
     
    Habt ihr schon mal an einem Wettbewerb teilgenommen? Wo man ein Bild hinschickt und weiß, man erfährt erst ein paar Monate später, ob man gewonnen hat oder nicht, aber trotzdem hat man jeden Tag ein Kribbeln im Bauch, wenn man einen Paketdienst durch die Gegend fahren sieht. Einmal habe ich bei einem Wettbewerb mit einem Bild von Opas und Omas Garten einen Preis gewonnen – Postkarten mit meiner Zeichnung darauf und eine Mappe für meine Bilder. Obwohl ich mich in

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