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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jowi Schmitz
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der neuen Stadt an keinem Wettbewerb beteiligt hatte, spürte ich hier die erste Zeit auch ein Kribbeln, wenn ich einen Paketdienst sah.
    Jeden Tag wachte ich mit diesem Kribbeln auf. Und jeden Tag kletterte ich leise aus dem Boot, um meinen Vater nicht zu wecken, und schlich barfuß durch den Garten zum Friseursalon. Zuerst stellte ich mich ans Fenster und sah hinaus, ob ein Lieferwagen vor der Tür stand, dann schaute ich nach, ob jemand Post durch den Briefschlitz gesteckt hatte. Danach ging ich in die Küche. Bis dahin waren meine Füße eiskalt, doch das betrachtete ich als Abhärtung. Ich musste lernen, das Leben besser auszuhalten.
    Die Küche war klein und hatte eine hohe Decke. Die Wände waren gekachelt wie in einem Schwimmbad. Oben in den Ecken hingen Spinnweben, die mein Vater noch wegmachen wollte. Später.
    Von der Küche ging ein schmaler Flur ab, in dem zwischen zwei Türen ein Münztelefon hing. Die erste Tür führte zur Toilette, die zweite zur Dusche. Nach dem Duschen kochte ich meinem Vater Kaffee. Und schmierte uns Brote, zumindest, wenn es was zum Schmieren gab. Mein Vater vergaß häufig einzukaufen, aber Brot war immer genug da. Wir aßen es morgens, mittags und abends. Türkisches Brot: Der Bäcker war Stammkunde im Salon.
    Mit dem Kaffee und den Broten ging ich durch den Garten zurück zum Boot und kletterte nach oben – ich hatte immer mehr Übung darin, die wacklige hohe Leiter hinaufzukommen. In der Kajüte setzte ich mich neben meinen Vater und hielt ihm so lange den Kaffee unter die Nase, bis er die Augen öffnete.
    Wir saßen nebeneinander und kauten auf den Broten herum, bis sein Wecker klingelte. Für mich war es das Signal, meine Tasche zu packen, für meinen Vater das Zeichen aufzustehen. Eigentlich hätte ich ihm gern von dem Kribbeln erzählt, doch ich ließ es bleiben. Es war zu schön, bevor der Tag richtig begann, einfach nur so mit ihm zusammen zu sein und zu frühstücken.
    Wenn ich nachmittags zurückkam, hatte er immer zu tun. Der Salon war hellblau und duftete nach Rasierwasser. Erst war er gelblich-weiß gewesen. »Nikotingelb«, hatte mein Vater gesagt, »vom jahrelangen Rauchen.« Sofort hatte er sich auf Farbe und Pinsel gestürzt, und kurze Zeit später war alles hellblau gewesen. Auf dem Steinfußboden gab es immer noch lauter blaue Sprenkel.
    Am liebsten saß ich auf einem der beiden Zahnarztstühle vor dem großen Spiegel. Oder auf der Wartebank aus Holz. Wenn nicht viel los war, erzählte ich ihm, was Jenny in der Schule gesagt hatte. Oder was Milena ausgefressen hatte, denn irgendwelchen Blödsinn machte sie immer.
    »Das Kind müsste mal mehr Liebe bekommen«, brummte mein Vater, als ich ihm vormachte, wie idiotisch sie der Aufsicht auf dem Schulhof eine ganze Pause lang hinterhergerannt war.
    »Als ob Liebe was bringen würde.« Ich verdrehte die Augen. Meiner Meinung nach brauchte Milena ganz was anderes, damit sie nett wurde. Einen dicken Pickel auf der Nase zum Beispiel. Oder schlechte Noten. Verdammt nervig, dass sie nicht nur hübsch war, sondern dazu noch gut in der Schule.
    Auch während unseres täglichen Plauschs hielt ich in der ersten Zeit noch dauernd Ausschau nach einem Paketdienst. Kribbeln. Natürlich fühlte sich das anders an als beim Malwettbewerb. Auf eine Urne freut man sich nun mal nicht.
    Mit meiner besten Freundin hätte ich darüber reden können, aber die hatte ich nicht. Hier in der Stadt war Sascha mein bester Freund, aber ich kannte ihn noch nicht lang genug, und außerdem war er ein Junge. Mit Jungs konnte man über Gräben springen, am Computer spielen oder einen Wettstreit im Weitspucken veranstalten. Aber eine beste Freundin war was anderes.
    In Friesland hatte ich Nettie gehabt. Sie hatte ein paar Häuser weiter gewohnt.
    Ich traf sie jede Woche ein paarmal nach der Schule. Dann saß sie meistens schon oben auf dem Stromkasten zwischen unseren Häusern, ich nahm Anlauf und katapultierte mich neben sie. Der Kasten war ziemlich hoch, man musste also geschickt abspringen, beide Hände auf den Kasten legen, sich in einem Schwung um die eigene Achse drehen und mit dem Hintern sozusagen rückwärts hinsetzen. Eigentlich ein Wunder, dass Nettie, die immer Kleider trug, so gut hinaufkam.
    Falls es nicht klappte, tat man, als wäre das Absicht gewesen, und blieb an den Kasten gelehnt stehen. Aber Sitzen war viel besser.
    Wenn ich dann neben ihr saß, fragte sie: »Alles klar?« Und ich antwortete: »Türlich.«
    Nettie hatte kurzes

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