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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Paoli
bezeichneten. Im Initiationsritual der sizilianischen Mafia bedient man sich ebenfalls der Blutsymbolik, wenn auch schlichter als in der ’Ndrangheta. Der gleiche abgedunkelte Raum. Die gleiche Versammlung von Bossen, die typischerweise um einen Tisch sitzen, in dessen Mitte eine Pistole und ein Messer liegen. Der »Pate« des Aspiranten erklärt diesem die Regeln, sticht ihm dann in den Zeigefinger der Schusshand und lässt ein wenig Blut auf ein Heiligenbild tropfen – üblicherweise Mariä Verkündigung. Das Bild wird in den Händen des Neulings verbrannt, während er folgenden Eid leistet: »Wenn ich Unsere Sache verrate, soll mein Fleisch brennen wie diese Heilige.« Vergossenes Blut kann nicht zurückgegeben werden. Was verbrannt ist, wird nicht wieder ganz. Wer in die sizilianische Mafia aufgenommen wird, schließt einen Bund fürs Leben.
    Initiationsriten sind nicht nur ein wesentlicher Bestandteil des Lebens innerhalb der kalabrischen und sizilianischen Mafias, sondern auch wichtige historische Zeugnisse. Die frühesten Hinweise auf das ’Ndrangheta-Ritual stammen aus dem ausgehenden 19 . Jahrhundert. Die Version der sizilianischen Mafia ist älter: Der erste dokumentierte Beweis tauchte 1876 auf. Ihre Rituale wurden von diesem Zeitpunkt an immer wieder aufgezeichnet, hinterließen blutige Fingerabdrücke und gaben damit die DNA des organisierten Verbrechens in Italien preis. Sie sagen uns auch klar und deutlich, was mit den Beweismitteln geschah, sobald sie den italienischen Behörden in die Hände gefallen waren: Sie wurden immer wieder ignoriert, unterschätzt und unterschlagen.
    Rituale geben zudem Aufschluss über historische Veränderungen. Den ältesten Initiationsritus von allen hatte die neapolitanische Camorra. Früher einmal besiegelte auch die Camorra den neuen Status eines jungen Mitglieds mit Blut. In den 1850 er Jahren legte ein Rekrut den Eid für gewöhnlich über gekreuzten Messern ab und musste sich dann einem Zweikampf unterziehen, entweder mit einem Camorrista oder einem weiteren Aspiranten. Oft pflegte man die Klinge fest mit Lumpen oder Schnüren zu umwickeln, so dass nur die Spitze frei blieb: So vermied man zu viel Blut und verhinderte, dass das Duell in einen Kampf auf Leben und Tod zu entgleisen drohte, statt den Zusammenhalt unter Männern zu besiegeln. Kaum war der erste Treffer vermerkt, wurde der Kampf für beendet erklärt. Das neue Mitglied wurde von den anwesenden Camorristi umarmt und erhielt den niedrigsten Rang in der hierarchisch organisierten ehrenwerten Gesellschaft.
    Die heutigen Camorrabosse lassen ihre Rekruten kein mit Schwüren bekräftigtes Initiationsritual mehr durchlaufen. Die Traditionen sind verschwunden. Die neapolitanische Camorra ist keine verschworene Sekte, keine Ehrenwerte Gesellschaft mehr. Diese ist, wie wir noch sehen werden, 1912 ausgestorben, und das unter bizarren, durch und durch neapolitanischen Umständen.
     
    Jede Mafia hat ihre eigene Struktur entwickelt. Das primäre Ziel dieser Strukturen ist es, für Disziplin zu sorgen, was ein enormer Wettbewerbsvorteil sein kann im gewalttätigen Getümmel der Unterwelt. Doch feste Strukturen dienen auch anderen Zwecken, vor allem machen sie sich die Loyalitäten zwischen Blutsverwandten zunutze. »Mafia« ist aber kein Synonym für »Sippe«: Es ist ein System, das die Sippe für kriminelle Zwecke ausbeutet.
    Die Mafia Neapels und der Region Kampanien hat von allen kriminellen Organisationen in Italien die dramatischsten strukturellen Veränderungen erlebt. Die Camorra, die nach der Zerstörung der Ehrenwerten Gesellschaft von Neapel vor dem Ersten Weltkrieg entstanden ist, ist kein einzelner Geheimbund mehr, sondern eine riesige, wabernde Welt aus diversen Gangs. Diese formieren sich, trennen sich, liefern sich bösartige Fehden, schließen neue Bündnisse, nur um im Zuge irgendeines vernichtenden Krieges oder einer Polizeirazzia wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Die neapolitanische Unterwelt ist erschreckend instabil. Während für einen sizilianischen
capo
durchaus die Chance besteht, seinen Enkelkindern dabei zuzusehen, wie sie ihrerseits die Verbrecherlaufbahn einschlagen, hat ein Camorrista Glück, wenn er die vierzig erreicht.
    Die Tatsache, dass die Camorra über keinerlei formelle Struktur, keinerlei Ränge und Rituale mehr verfügt, wie sie bei ’Ndrangheta und Cosa Nostra bestehen, hält ihre erfolgreichsten Clans nicht davon ab, große Landstriche in Kampanien zu

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