On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
schon.«
»Dann werd ich da mal anrufen.«
»Ick warne dir. Das ist kein Job für Freunde des Mittagsschlafs. Du bist die ganze Zeit unter Strom. Das ist nicht einfach ein bisschen Blabla, das ist ein Knochenjob. Dann kommen da Rentner, die glauben, sie wissen alles besser, weil sie Hitler und Ulbricht persönlich gekannt haben. Und denn wollen die dir was erzählen von –«
»Jaja.«
Klick.
Wer Arbeit will ...
I ch wählte. Es tutete. Eine Frau meldete sich.
»Ja?«
Ja wer?
»Hallo, ist da die Hammer und Zirkel Reederei?«
»Junger Mann, wir heißen Kreuz und Krone.«
»Oh, Entschuldigung … äh … Guten Tach, ich habe gehört, dass Sie noch Stadtbilderklärer suchen, und wollte mich gern bewerben.«
»Moment mal«, sagte die Frau, nahm anscheinend den Hörer vom Ohr und rief ins Büro hinein: »Hans, hier is einer, der sagt, er will hier arbeiten.«
Aus dem Hintergrund hörte ich eine Männerstimme:
»Kenn ick nich. Leg auf!«
Trotzdem kam der Mann ans Telefon und machte mit mir einen Termin aus.
Ich habe ein Vorstellungsgespräch, dachte ich, jetzt kann ich mitreden. Nach besoffen sein, Führerschein machen und Sex haben war dies die letzte Erfahrung, die mir zum Erwachsensein noch gefehlt hatte. Meine Kenntnisse über Bewerbungsgespräche beschränkten sich auf Informationen aus zweiter Hand. Die Zeitschrift »Junge Karriere«, die ich als Bonus mit meinem Studentenabonnement einer Berliner Tageszeitung bekam, goss dieses Thema jeden Monat neu auf: »Die zehn größten Fehler im Bewerbungsgespräch«, »So mache ich einen guten Eindruck im Bewerbungsgespräch«, »Keine Angst vorm Jobinterview«, »Wie man im Bewerbungsgespräch punktet – Personalchefs packen aus«. Eine Art Dr. Sommer für Berufsanfänger. Vielleicht hätte ich das genauso interessiert lesen sollen, wie ich als Vierzehnjähriger Dr. Sommer gelesen hatte.
Manchmal erzählten mir auch Freunde oder flüchtige Unibekanntschaften von ihren Bewerbungsgesprächen, in denen häufig dieselben Fragen gestellt wurden, die man schlau beantworten musste.
»Was sind denn Ihre Schwächen?«
Hier muss man eine Schwäche nennen, die eigentlich eine Stärke ist:
»Ich bin total penibel. Ich will immer alles ganz genau und gründlich erledigen. Hihihi.«
»Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?«
Hier soll man Aufstiegswillen und Ehrgeiz zeigen:
»Auf Ihrem Stuhl.«
»Was würden Sie beim nächsten Bewerbungsgespräch anders machen?«
Hier muss man Selbstvertrauen beweisen, ruhig auch mit Humor:
»Ich würde zwei gleichfarbige Socken anziehen.«
Anscheinend gab es in Bewerbungsgesprächen eine Art Liturgie: Der Rebbe singt etwas vor, und der Khossed muss die richtige Antwort zurücksingen. Dies sei die Grundvoraussetzung für die Einstellung, zusammen mit einem abgeschlossenen Studium, mehreren Auslandssemestern, einem Stapel Praktikumszeugnisse, Kinderlosigkeit, der Beteuerung, kein Privatleben zu haben sowie Alkohol und Feste zu verabscheuen, und der Bereitschaft, auf Abruf den Chef nachts aus dem Puff abzuholen und nach Hause zu fahren.
Ein paar Tage später fuhr ich in einen Berliner Außenbezirk, in dem die Reederei ihr Büro hatte. Ein Mann in den Fünfzigern empfing mich, stellte sich mir als Herr Dietrich vor und führte mich in sein Büro.
»So, junger Mann, dann wollen wir mal sehen«, sagte er und blätterte durch meine Unterlagen. »Aha, Historiker ist er. Aha, DDR-Geschichte hat er studiert. Englisch, Italienisch und Latein spricht er. Gut. Ach was, er hatte in der Schule Leistungskurs Französisch?«
Wie sagt man in einem Bewerbungsgespräch, dass man diese Sprache nie verstanden und sofort nach dem Abitur wieder vergessen hat?
»Ja«, sagte ich. »Da hat er ausbaufähige Grundkenntnisse.«
»Er soll auch gar nicht Französisch sprechen. Sobald man den französischen Gästen auch nur ›Bonjour‹ sagt, glauben die, man spricht perfekt Französisch, und wenn man dann doch nichts auf Französisch erklärt, sind die sauer. Aber sein Englisch ist ja hervorragend, wie ich sehe. Studium der Anglistik im Nebenfach, dann dürfte er da ja überhaupt keine Schwächen haben.«
»Äh … meine Schwächen sind: Ich bin total penibel. Ich will immer alles ganz genau und gründlich erledigen.«
»Ja, das ist ja schön. Aber passen Sie auf, dass Sie es damit nicht übertreiben. Wir hatten hier mal einen Kollegen, der hat sich so in seinen Job hineinversetzt, dass er dann auch privat alles auf Englisch wiederholt hat.«
»Was hat
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