Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Onkel Toms Hütte

Titel: Onkel Toms Hütte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beecher-Stowe Harriet
Vom Netzwerk:
Leute gefährlich und nicht richtig war. Daher fühlte er sich von dauernden Gewissensbissen verfolgt, die jedoch nicht heftig genug waren, um sein Verhalten zu ändern; gerade diese Gewissensbisse veranlaßten ihn zu immer größerer Nachsicht. Die ernstesten Vergehen überging er leichthin, weil er sich sagen mußte, daß seine mangelnde Strenge seine Dienerschaft erst dazu gebracht hatte.
    Tom betrachtete seinen leichtlebigen, heiteren und schönen jungen Herrn mit einer merkwürdigen Mischung von Unterwürfigkeit, Verehrung und väterlicher Besorgnis. Daß er niemals in der Bibel las, niemals zur Kirche ging, daß er sich über alles und jedes lustig machte, was seine Spottlust erregte, daß er die Sonntagabende in der Oper oder im Theater verbrachte, daß er öfter als nötig zu Galagelagen und Abendgesellschaften ging – das waren Dinge, die Tom so gut wie jeder andere bemerkte, und worauf er seine Überzeugung gründete, daß ›der Herr kein Christ‹ war – eine Überzeugung, die er allerdings kaum einem anderen gegenüber ausgedrückt hätte, wenn sie ihm auch Anlaß war zu heißen Gebeten aus seinem einfachen Gemüt, die er in seiner kleinen Schlafkammer vor sich hinsprach. Das will nicht heißen, daß Tom nicht auch seine eigene Weise hatte, einmal seine Meinung zu sagen, wobei er jenen Takt bewies, der kennzeichnend ist für seine Klasse. Das geschah zum Beispiel am Tage nach jenem Sonntag, den wir beschrieben hatten, an dem St. Clare abends zu einem vergnügten Weingelage geladen und nachts zwischen ein und zwei Uhr in einem Zustand nach Hause gebracht worden war, als sein geistiges Bewußtsein bereits dem körperlichen Befinden weit unterlegen war. Tom und Adolf hatten ihm ins Bett geholfen, der letztere war dabei äußerst belustigt gewesen und hatte den Vorfall für einen guten Witz gehalten. Über Toms kindliches Entsetzen hatte er sich ausgeschüttet vor Lachen, jener war in der Tat einfältig genug gewesen, die restliche Nacht aufzubleiben und für seinen jungen Herrn zu beten.
    »Na, Tom, auf was wartest du noch?« sagte St. Clare am nächsten Tage, als er in Morgenrock und Pantoffeln in seiner Bibliothek saß. St. Clare hatte Tom gerade mit etwas Geld und verschiedenen Besorgungen beauftragt. »Ist noch etwas nicht in Ordnung?« setzte er hinzu, als Tom noch immer wartend dastand.
    »Ich befürchte es beinahe, Herr«, erwiderte Tom mit ernstem Gesicht. St. Clare ließ seine Zeitung sinken und setzte seine Kaffeetasse hin.
    »Ja, Tom, was ist denn los? Du siehst wie ein Sarg so feierlich aus.«
    »Mir geht es schlecht, Herr. Ich habe immer gedacht, der Herr sei gut zu jedermann.«
    »Na, Tom, und das bin ich nicht? Schieß los, was möchtest du? Wahrscheinlich fehlt dir etwas, und dies ist die Einleitung.«
    »Der Herr ist immer gut zu mir. In diesem Punkt kann ich nicht klagen. Aber zu jemand anders ist der Herr nicht gut.«
    »Aber Tom, was ist denn in dich gefahren? Sprich frei heraus; was willst du?«
    »Heute nacht zwischen eins und zwei, da fiel es mir auf. Seitdem habe ich darüber gegrübelt. Der Herr ist zu sich selbst nicht gut.«
    Tom hatte seinem Herrn den Rücken zugekehrt, während er sprach, seine Hand lag auf dem Türgriff. St. Clare fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, aber er lachte.
    »Oh, ist das alles?« fragte er wohlgelaunt.
    »Alles!« sagte Tom, drehte sich plötzlich um und fiel auf die Knie. »Oh, lieber, junger Herr! Ich befürchte, Sie werden alles verlieren – Leib und Seele – alles! Die Heilige Schrift sagt: ›Er beißt wie eine Schlange und sticht wie eine Otter!‹«
    Toms Stimme erstickte und Tränen liefen über seine Backen.
    »Du alter Narr!« sagte St. Clare, selber mit Tränen in den Augen. »Steh auf, Tom. Ich bin nicht wert, daß man um mich weint.«
    Aber Tom wollte sich nicht erheben und blickte mit flehenden Augen auf.
    »Na also, ich werde nicht wieder hingehen zu diesen blöden Gesellschaften, Tom«, sagte St. Clare. »Auf mein Ehrenwort, nie wieder. Es hat mich immer geekelt, auch vor mir selber – also Tom, wisch dir die Tränen ab, und geh deinen Geschäften nach. Komm, laß sein«, setzte er hinzu, »keine Segenssprüche. Ich verdiene das gar nicht«, sagte er und schob Tom sanft zur Tür. »Also, Tom, auf Ehrenwort, du wirst mich in diesem Zustand nicht wieder sehen«, wiederholte er, und Tom ging hinaus, nachdem er sich tiefbefriedigt die Augen getrocknet hatte.
    »Und ich werde Wort halten«, sagte St. Clare, als er die Tür

Weitere Kostenlose Bücher