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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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melismischen und rhythmischen Besonderheiten, wie sie in Italien im ziemlichen Einklange mit einer willkürlich akzentuierbaren Sprache sich ausgebildet hatte, war auch deutschen Opernkomponisten das von Anfang herein Maßgebende gewesen; diese Melodie war von ihnen nachgeahmt und variiert worden, und ihren Anforderungen hatte sich die Eigentümlichkeit unsrer Sprache und ihres Akzentes fügen müssen. Von jeher ist von unsren Komponisten die deutsche Sprache wie eine übersetzte Unterlage für die Melodie behandelt worden, und wer sich von dem, was ich meine, deutlich überzeugen will, der vergleiche genau z. B. Winters »unterbrochenes Opferfest«. Außer des gänzlich willkürlich verwendeten Sinnsprachakzentes, ist selbst der sinnliche Akzent der Wurzelsilben – dem Melismus zuliebe – oft gänzlich verdreht; gewisse Worte von zusammengesetztem doppeltem Wurzelakzent sind aber gradeswegs für unkomponierbar erklärt, oder – wenn sie durchaus angewandt werden mußten – in einem unsrer Sprache ganz fremden, entstellenden Akzente musikalisch wiedergegeben worden. Selbst der sonst so gewissenhafte Weber ist der Melodie zuliebe gegen die Sprache oft noch durchaus rücksichtslos. – In neuesten Zeiten ist von deutschen Opernkomponisten geradesweges der aus den Übersetzungen herrührende, sprachbeleidigende Tonakzent nachgeahmt und als eine Erweiterung des Opernsprachvermögens beibehalten worden – so daß Sänger, denen eine Wortversmelodie, wie wir sie meinen, zum Vortrage gegeben würde, in unsrem Sinne zu diesem Vortrage durchaus unfähig gemacht wären. – Das Charakteristische dieser Melodie liegt in der bestimmten Bedingung ihres musikalischen Ausdruckes aus dem Sprachverse nach seiner sinnlichen und sinnigen Eigenschaft: nur aus diesen Bedingungen gestaltete sie sich so, wie sie sich musikalisch kundgibt, und das stets Gegenwärtige, von uns Mitempfundene dieser Bedingungen ist wiederum die notwendige Bedingung für ihr Verständnis. Diese Melodie nun, von ihren Bedingungen losgelöst, wie unsre Sänger sie vom Sprachverse vollkommen loslösen würden, bliebe eine unverständliche und eindruckslose; könnte sie dennoch nach ihrem reinmusikalischen Gehalte wirken, so würde sie wenigstens nie in dem Sinne wirken, wie sie es der dichterischen Absicht nach soll, und dieses wäre – selbst wenn jene Melodie an sich dem Gehöre Gefallen erwecken sollte – eben die Vernichtung der dramatischen Absicht, welche in jene Melodie, wenn sie beziehungsvoll im Orchester wiederkehrt, die Bedeutung einer gemahnenden Erinnerung setzt – eine Bedeutung, die ihr nur zu eigen sein kann, wenn sie nicht als absolute Melodie, sondern als einem kundgegebenen bestimmten Sinne entsprechend von uns erfaßt worden ist und als solche bewahrt werden kann. Ein Drama, in der Worttonsprache, wie wir sie bezeichneten, kundgegeben, würde – von unsren sprachlosen Sängern dargestellt – daher nur einen reinmusikalischen Eindruck auf den Zuhörer noch machen können, und dieser würde sich, bei dem Wegfall der bezeichneten Bedingungen für das Verständnis, folgendermaßen herausstellen. Der sprachlose Gesang müßte uns überall da gleichgültig und gelangweilt stimmen, wo wir ihn nicht zu der Melodie sich erheben sehen, die als absolute, in ihrer Kundgebung und durch unser Empfängnis vom Sprachverse losgelöste, unser Gehör fesselte und zur Teilnahme bestimmte. Diese Melodie, vom Orchester als bedeutungsvolles dramatisches Motiv der Erinnerung zurückgerufen, würde uns eben nur die Erinnerung an sie, als nackte Melodie, nicht aber an das in ihr kundgegebene Motiv erwecken, ihre Wiederkehr an einer anderen Stelle des Dramas uns also vom gegenwärtigen Momente abziehen, nicht aber ihn uns verständlichen. Ihrer Bedeutung ledig könnte diese Melodie unser Gehör, durch das unsre innere Empfindung eben nicht angeregt ist, sondern in dem nur der Durst nach äußerlichem, d. h. unmotiviert wechselndem Genuß erweckt wurde, bei ihrer Wiederkehr fast nur ermüden und das als belästigende Armut in der Kundgebung erscheinen lassen, was in Wahrheit einem reichen Gedankengehalte am sinnvollsten und sinnlichsten entspricht. Das Gehör, das bei nur musikalischer Erregung aber auch eine Befriedigung im Sinne des ihm gewohnten, enger begrenzten musikalischen Gefüges fordert, würde durch die große Ausdehnung dieses Gefüges über das ganze Drama vollständig verwirrt werden; denn diese große Ausdehnung auch der musikalischen Form kann

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