Oper und Drama
Übersetzung bis zur vollkommenen Entstellung des Sinnes vor und prägte diese dem Gehöre recht geflissentlich noch durch zahlreiche Wortwiederholungen in einer Weise ein, daß dieses unwillkürlich sich vom Texte gänzlich ab und nur noch auf die reinmelodische Kundgebung wandte. – In solchen Übersetzungen wurden der deutschen Kunstkritik die Opern Glucks vorgeführt, deren wesentliche Eigentümlichkeit in einer getreuen Deklamation der Rede bestand. Wer eine Berliner Partitur von einer Gluckschen Oper gesehen und sich von der Beschaffenheit der deutschen Textunterlage überzeugt hat – mit welcher diese Werke dem Publikum vorgeführt wurden, der kann einen Begriff von dem Charakter der Berliner Kunstästhetik erhalten, die aus Glucks Opern sich einen Maßstab für dramatische Deklamation bildete, von der man auf literarischem Wege von Paris aus so viel vernommen hatte und die man nun auch merkwürdigerweise aus den Aufführungen wiedererkannte, die in jenen – alle richtige Deklamation über den Haufen werfenden – Übersetzungen vor sich gingen. – Nichts geht über Berliner Gelehrtenphantasie! –
Bei weitem wichtiger als auf die preußische Ästhetik war aber der Einfluß dieser Übersetzungen auf unsre deutschen Opernsänger . Der vergeblichen Mühe, die Textunterlage in Übereinstimmung mit den Noten der Melodie zu bringen, mußten sie sich notgedrungen bald entwinden; sie gewöhnten sich daran, den Text – als einen sinn gebenden – immer unbeachteter zu lassen, und durch diese Unbeachtung ermunterten sie von neuem die Übersetzer zu immer vollendeterer Nachlässigkeit in ihren Arbeiten, die endlich immer mehr nur die Bestimmung erhielten, als gedruckte Textbücher dem Publikum ganz in dem Sinne, wie Inhaltsprogramme zur Erklärung einer Pantomime dienen sollten, in die Hände gegeben zu werden. Unter solchen Umständen gab der dramatische Sänger schließlich auch noch die unnütze Mühe der deutlichen Aussprache der Vokale und Konsonanten auf, die für den Gesang, den er nun als reines musikalisches Instrument ausführte, ihm nur hinderlich und erschwerend waren. Es blieb ihm und dem Publikum somit vom ganzen Drama nichts weiter übrig als die absolute Melodie, die unter so bewandten Umständen nun auch auf das Rezitativ übergetragen ward. Da die Grundlage desselben im Munde des übersetzten deutschen Sängers nicht mehr die Rede war, so gelangte das Rezitativ, mit dem er so nicht wußte, was anfangen, für ihn bald zu einem eigentümlichen Werte: es war nämlich dies Rezitativ durch das Zeitmaß der Melodie nicht mehr gebunden, und frei von dem peinlichen Takte des Orchesterdirigenten, fand der Sänger hier eine Gelegenheit, nach Belieben in der Produktion seiner Stimme sich zu ergehen. Das Rezitativ ohne Rede war für ihn ein Chaos zusammenhangsloser Noten, aus denen er nun jedesmal diejenigen herausholen durfte, die seiner Stimmlage sich besonders günstig zeigten; solche ein Ton, der sich aller vier bis fünf Noten einmal darbot, ward nun zur Wonne befriedigter Stimmeitelkeit so lange ausgehalten, bis der Atem ausging, und jeder Sänger liebte es daher sehr, mit einem Rezitativ aufzutreten, weil dies ihm die beste Gelegenheit gab, sich – nicht etwa als dramatischer Redner – sondern als Eigentümer eines guten Stimmkehlkopfes und tüchtiger Lungen auszuweisen. Dem ohngeachtet blieb das Publikum dabei, daß dieser oder jener Sänger sich als dramatischer Sänger auszeichne: man verstand darunter genau dasselbe, was man an einem Violinvirtuosen rühmte, wenn er durch Abstufungen und Übergänge den reinmusikalischen Vortrag unterhaltend und interessant zu machen wußte.
Die künstlerischen Ergebnisse hieraus kann man sich leicht vorstellen, wenn man plötzlich diesen Sängern die Wortversmelodie, über die wir uns genau verständlicht haben, zum Vortrage geben wollte. Sie würden sie um so weniger vortragen können, als sie sich bereits daran gewöhnt haben, auch in Opern, die auf deutsche Texte komponiert sind, mit ihrem Verfahren bei übersetzten Opern durchzukommen; und hierin wurden sie von unsren modernen deutschen Opernkomponisten selbst unterstützt. – Von jeher ist die deutsche Sprache von deutschen Komponisten nach einer willkürlichen Norm behandelt worden, die sie von der Sprachbehandlung entnahmen, wie sie sie in den Opern der Nation vorfanden, von der die Oper als fremdes Produkt zu uns übergesiedelt worden ist. Die absolute Opernmelodie, mit ihren ganz bestimmten
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