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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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bereits seit lange ein Gegenstand des tiefsten und heftigsten Widerwillens geworden; sie klagten aber nur die Verderbtheit des Geschmackes und die Frivolität derjenigen Künstler, die sie ausbeuteten, an, ohne darauf zu verfallen, daß jene Verderbtheit eine ganz natürliche, und diese Frivolität demnach eine ganz notwendige Erscheinung war. Wenn die Kritik das wäre, was sie sich meistens einbildet zu sein, so müßte sie längst das Rätsel des Irrtumes gelöst und den Widerwillen des ehrlichen Künstlers gründlich gerechtfertigt haben. Statt dessen hat auch sie nur den Instinkt dieses Widerwillens empfunden, an die Lösung des Rätsels aber ebenso befangen nur herangetappt, als der Künstler selbst innerhalb des Irrtumes nach Ausweggängen sich bewegte.
    Das große Übel für die Kritik liegt hierbei in ihrem Wesen selbst. Der Kritiker fühlt in sich nicht die drängende Notwendigkeit, die den Künstler selbst zu der begeisterten Hartnäckigkeit treibt, in der er endlich ausruft: so ist es und nicht anders! Der Kritiker, will er hierin dem Künstler nachahmen, kann nur in den widerlichen Fehler der Anmaßung verfallen, d. h. des zuversichtlich gegebenen Ausspruches irgendeiner Ansicht von der Sache, in der er nicht mit künstlerischem Instinkte empfindet, sondern über die er mit bloß ästhetischer Willkür Meinungen äußert, an deren Geltendmachung ihm vom Standpunkte der abstrakten Wissenschaft aus liegt. Erkennt nun der Kritiker seine richtige Stellung zur künstlerischen Erscheinungswelt, so fühlt er sich zu jener Scheu und Vorsicht angehalten, in der er immer nur Erscheinungen zusammenstellt und das Zusammengestellte wieder neuer Forschung übergibt, nie aber das entscheidende Wort mit enthusiastischer Bestimmtheit auszusprechen wagt. Die Kritik lebt somit vom »allmähligen« Fortschritte, d. h. der ewigen Unterhaltung des Irrtumes; sie fühlt, wird der Irrtum gründlich gebrochen, so tritt dann die wahre, nackte Wirklichkeit ein, die Wirklichkeit, an der man sich nur noch erfreuen, über die man aber unmöglich mehr kritisieren kann – gerade, wie der Liebende in der Erregtheit der Liebesempfindung ganz gewiß nicht dazu kommt, über das Wesen und den Gegenstand seiner Liebe nachzudenken. An diesem vollen Erfülltsein von dem Wesen der Kunst muß es der Kritik, solange sie besteht und bestehen kann , ewig Gebrechen; sie kann nie ganz bei ihrem Gegenstande sein, mit einer vollen Hälfte muß sie sich immer abwenden, und zwar mit der Hälfte, die ihr eigenes Wesen ist. Die Kritik lebt vom »Doch« und »Aber«. Versenkte sie sich ganz auf den Grund der Erscheinungen, so müßte sie mit Bestimmtheit nur dies eine aussprechen können, eben den erkannten Grund – vorausgesetzt, daß der Kritiker überhaupt die nötige Fähigkeit, d. h. Liebe zu dem Gegenstande, habe: dies eine ist aber gemeinhin der Art, daß, mit Bestimmtheit ausgesprochen, es alle weitere Kritik geradezu unmöglich machen müßte. So hält sie sich vorsichtig, um ihres Lebens willen, immer nur an die Oberfläche der Erscheinung, ermißt ihre Wirkung, wird bedenklich, und – siehe da! – das feige, unmännliche »Jedoch« ist da, die Möglichkeit unendlicher Unbestimmtheit und Kritik ist von neuem gewonnen!
    Und doch haben wir jetzt alle Hand an die Kritik zu legen; denn durch sie allein kann der, durch die Erscheinungen enthüllte, Irrtum einer Kunstrichtung uns zum Bewußtsein kommen; nur aber durch das Wissen von einem Irrtume werden wir seiner ledig. Hatten die Künstler unbewußt diesen Irrtum genährt und endlich bis zur Höhe seiner ferneren Unmöglichkeit gesteigert, so müssen sie, um ihn vollkommen zu überwinden, eine letzte männliche Anstrengung machen, selbst Kritik zu üben; so vernichten sie den Irrtum und heben die Kritik zugleich auf, um von da ab wieder, und zwar erst wirklich, Künstler zu werden, die sorgenlos dem Drange ihrer Begeisterung sich überlassen können, unbekümmert um alle ästhetische Definition ihres Vorhabens. Der Augenblick, der diese Anstrengung gebieterisch fordert, ist aber jetzt erschienen: wir müssen tun, was wir nicht lassen dürfen, wenn wir nicht in verächtlichem Blödsinn zugrunde gehen wollen. –
    Welcher ist nun der von uns allen geahnte, noch nicht aber gewußte Irrtum ? –
    Ich habe die Arbeit eines tüchtigen und erfahrenen Kunstkritikers vor mir, einen längeren Artikel in der Brockhausschen »Gegenwart«: »Die moderne Oper«. Der Verfasser stellt alle bezeichnenden

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