Oper und Drama
Erscheinungen der modernen Oper auf kenntnisvolle Weise zusammen und lehrt an ihnen recht deutlich die ganze Geschichte des Irrtumes und seiner Enthüllung; er bezeichnet diesen Irrtum fast mit dem Finger, enthüllt ihn fast vor unsern Augen, und fühlt sich wieder so unvermögend, seinen Grund mit Bestimmtheit auszusprechen, daß er dagegen es vorziehen muß, auf dem Punkte des notwendigen Ausspruches angekommen, sich in die allerirrigsten Darstellungen der Erscheinung selbst zu verlieren, um so gewissermaßen den Spiegel wieder zu trüben, der bis dahin uns immer heller entgegenleuchtete. Er weiß , daß die Oper keinen geschichtlichen (soll heißen: natürlichen) Ursprung hat, daß sie nicht aus dem Volke, sondern aus künstlerischer Willkür entstanden ist; er errät den verderblichen Charakter dieser Willkür ganz richtig, wenn er es als einen argen Mißgriff der meisten jetzt lebenden deutschen und französischen Opernkomponisten bezeichnet, »daß sie auf dem Wege der musikalischen Charakteristik Effekte anstreben, die man allein durch das verstandesscharfe Wort der dramatischen Dichtung erreichen kann«; er kommt auf das wohlbegründete Bedenken hin, ob die Oper nicht wohl an sich ein ganz widerspruchsvolles und unnatürliches Kunstgenre sei; er stellt in den Werken Meyerbeers – allerdings hier fast schon ohne Bewußtsein – diese Unnatur als bis auf die unsittlichste Spitze getrieben dar – und, statt nun das Notwendige, von jedem fast schon Gewußte, rund und kurz auszusprechen, sucht er plötzlich der Kritik ein ewiges Leben zu bewahren, indem er sein Bedauern darüber ausspricht, daß Mendelssohns früher Tod die Lösung des Rätsels verhindert, d. h. hinausgeschoben hätte! – Was spricht der Kritiker mit diesem Bedauern aus? Doch nur die Annahme, daß Mendelssohn, bei seiner feinen Intelligenz und seiner außerordentlichen musikalischen Befähigung, entweder imstande hätte sein müssen, eine Oper zu schreiben, in welcher die herausgestellten Widersprüche dieser Kunstform glänzend widerlegt und ausgesöhnt worden, oder aber dadurch, daß er trotz jener Intelligenz und Befähigung dies nicht vermögend gewesen wäre, diese Widersprüche endgültig bezeugt, den Genre somit als unnatürlich und nichtig dargestellt hätte? Diese Darlegung glaubte der Kritiker also nur von dem Wollen einer besonders befähigten – musikalischen – Persönlichkeit abhängig machen zu können? War Mozart ein geringerer Musiker? Ist es möglich, Vollendeteres zu finden, als jedes Stück seines »Don Juan«? Was aber hätte Mendelssohn im glücklichsten Falle anderes vermocht, als Nummer für Nummer Stücke zu liefern, die jenen Mozartschen an Vollendung gleich kämen? Oder will der Kritiker etwas anderes, will er mehr, als Mozart leistete? – In der Tat, das will er: er will den großen, einheitvollen Bau des ganzen Dramas, er will – genaugenommen – das Drama in seiner höchsten Fülle und Potenz . An wen aber stellt er diese Forderung? An den Musiker! – Den ganzen Gewinn seines einsichtsvollen Überblickes der Erscheinungen der Oper, den festen Knoten, zu dem er alle Fäden der Erkenntnis in seiner geschickten Hand zusammengefaßt hat – läßt er schließlich fahren und wirft alles in das alte Chaos wieder zurück! Er will sich ein Haus bauen lassen und wendet sich an den Skulptor oder Tapezierer; der Architekt , der auch den Skulptor und Tapezierer und sonst alle bei Herrichtung des Hauses nötigen Helfer mit in sich begreift, weil er ihrer gemeinsamen Tätigkeit Zweck und Anordnung gibt, der fällt ihm nicht ein! – Er hatte das Rätsel selbst gelöst, aber nicht Tageshelle hatte ihm die Lösung gegeben, sondern nur die Wirkung eines Blitzes in finsterer Nacht, nach dessen Verschwinden ihm plötzlich die Pfade nur noch unerkennbarer als vorher geworden sind. So tappt er nun endlich in vollster Finsternis herum, und da, wo sich der Irrtum in nacktesten Widerwärtigkeit und prostituiertester Blöße für den Handgriff erkenntlich hinstellt, wie in der Meyerbeerschen Oper, da glaubt der vollständig Geblendete plötzlich den hellen Ausweg zu erkennen: er stolpert und strauchelt jeden Augenblick über Stock und Stein, bei jedem Tasten fühlt er sich ekelhaft berührt, sein Atem versagt ihm bei stickend unnatürlicher Luft, die er einsaugen muß – und doch glaubt er sich auf dem richtigen, gesunden Wege zum Heile, weshalb er sich auch alle Mühe gibt, sich über alles das zu belügen, was ihm auf diesem Wege
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