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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Sängern, die bei Festen sie unterhalten sollten, Arien , d. h. ihrer Wahrheit und Naivetät entkleidete Volksweisen, vorsingen zu lassen, denen man willkürliche, und aus Not zu einem Anscheine von dramatischem Zusammenhang verbundene, Verstexte unterlegte. Diese dramatische Kantate , deren Inhalt auf alles, nur nicht auf das Drama abzielte, ist die Mutter unsrer Oper, ja sie ist die Oper selbst. Je weiter sie sich von diesem Entstehungspunkte aus entwickelte, je folgerechter sich die, als nur noch rein musikalisch übriggebliebene, Form der Arie zur Unterlage für die Kehlfertigkeit der Sänger fortbildete, desto klarer stellte sich für den Dichter , der zur Hülfe bei diesen musikalischen Divertissements herbeigezogen wurde, die Aufgabe heraus, eine Dichtungsform herzurichten, die gerade zu weiter gar nichts dienen sollte, als dem Bedürfnisse des Sängers und der musikalischen Arienform den nötigen Wortversbedarf zu liefern. Metastasios großer Ruhm bestand darin, daß er dem Musiker nie die mindeste Verlegenheit bereitete, vom dramatischen Standpunkte aus ihm nie eine ungewohnte Forderung stellte, und somit der allerergebenste und verwendbarste Diener dieses Musikers war. Hat sich dieses Verhältnis des Dichters zum Musiker bis auf den heutigen Tag um ein Haar geändert? Wohl darin, was nach rein musikalischem Dafürhalten heute für dramatisch gilt und allerdings von der altitalienischen Oper sich unterscheidet, keineswegs aber darin, was das Charakteristische der Stellung selbst betrifft. Als dieses gilt heute wie vor 150 Jahren, daß der Dichter seine Inspirationen vom Musiker erhalte, daß er den Launen der Musik lausche, der Neigung des Musikers sich füge, den Stoff nach dessen Geschmacke wähle, seine Charaktere nach der, für die rein musikalische Kombination erforderlichen, Stimmgattung der Sänger modele, dramatische Unterlagen für gewisse Tonstückformen, in denen der Musiker sich ergehen und ausbreiten will, herbeischaffe – kurz, daß er in seiner Unterordnung unter den Musiker das Drama nur aus speziell musikalischen Intentionen des Komponisten heraus konstruiere – oder, wenn er dies alles nicht wolle oder könne, sich gefallen lasse, für einen unbrauchbaren Operntextdichter angesehen zu werden. – Ist dies wahr oder nicht? Ich zweifle, daß gegen diese Darstellung das mindeste eingewendet werden könnte.
    Die Absicht der Oper lag also von je, und so auch heute, in der Musik. Bloß um der Wirksamkeit der Musik Anhalt zu irgendwie gerechtfertiger Ausbreitung zu verschaffen, wird die Absicht des Dramas herbeigezogen – natürlich aber nicht, um die Absicht der Musik zu verdrängen, sondern vielmehr ihr nur als Mittel zu dienen. Ohne Anstand wird dies auch von allen Seiten anerkannt; niemand versucht es auch nur, die bezeichnete Stellung des Dramas zur Musik, des Dichters zum Tonkünstler, zu leugnen: nur im Hinblick auf die ungemeine Verbreitung und Wirkungsfähigkeit der Oper hat man geglaubt mit einer monströsen Erscheinung sich befreunden zu müssen, ja ihr die Möglichkeit zuzusprechen, in ihrer unnatürlichen Wirksamkeit etwas Neues, ganz Unerhörtes, noch nie zuvor Geahntes zu leisten, nämlich auf der Basis der absoluten Musik das wirkliche Drama zustande zu bringen .
    Wenn ich nun als Zweck dieses Buches mir den zu führenden Beweis dafür gesetzt habe, daß allerdings aus dem Zusammenwirken gerade unsrer Musik mit der dramatischen Dichtkunst dem Drama eine noch nie zuvor geahnte Bedeutung zuteil werden könne und müsse, so habe ich, zur Erreichung dieses Zweckes, zunächst mit der genauen Darlegung des unglaublichen Irrtumes zu beginnen, in dem diejenigen befangen sind, welche jene höhere Gestaltung des Dramas durch das Wesen unsrer modernen Oper , also aus der naturwidrigen Stellung der Dichtkunst zur Musik, erwarten zu dürfen glauben.
    Wenden wir unsre Betrachtung zuvörderst daher ausschließlich dem Wesen dieser Oper zu!

Die Oper und das Wesen der Musik
[ I ]
    Jedes Ding lebt und besteht durch die innere Notwendigkeit seines Wesens, durch das Bedürfnis seiner Natur. Es lag in der Natur der Tonkunst, sich zu einer Fähigkeit des mannigfaltigsten und bestimmtesten Ausdruckes zu entwickeln, zu der sie, wiewohl das Bedürfnis dazu in ihr lag, nie gelangt sein würde, wenn sie nicht in eine Stellung zur Dichtkunst gedrängt worden wäre, in der sie Anforderungen an ihr äußerstes Vermögen entsprechen zu wollen sich genötigt sah, selbst wenn diese Anforderungen auf das ihr

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