Opfer fliegen 1. Klasse
zu denken. Immerhin würde man sich im Blauen
Salon des Grandhotels ,Königssohn’ versammeln, wo man noch exklusive
Gastlichkeit wie in den Zwanziger Jahren pflegte, wo sich die Kellner lautlos
bewegten, wo man von feinstem Porzellan aß und der Küchenchef ein Künstler
seines Fachs war. Dort alle fünf Minuten mit verzerrter Miene zur Toilette zu
rennen — unmöglich!!!
Helmut Werfall würde also heute
abend zu Hause bleiben. Er war ein stattlicher Typ von 69 Jahren, etwas fett
und etwas kahl, aber stinkreich und an allem interessiert, was er für
lebensvoll hielt. Dazu gehörte in erster Linie seine Hinwendung zu jungen
Frauen. Nun ja, sehr jung waren sie nicht mehr. Aber aus der Sicht eines 69ers
ist auch eine Endvierzigerin ein Youngblood; und der Juwelier war vor einem
Jahr in heißer Liebe entbrannt zu einer Lady.
Sie war geschieden, war
peinlicherweise die Ex-Gattin eines Überlebens-Club-Mitglieds, gehörte aber
nicht selbst zu dem Kreis, war nämlich nicht Passagier gewesen der
Unglücksmaschine von Malakaputtschino. Und das, wie Werfall inzwischen wußte,
aus gutem Grund.
Denn Irene Flörchinger, seine
Herzallerliebste, hatte in einer intimen Stunde aus dem Nähkörbchen geplaudert.
Was sie da erzählt hatte, war so ungeheuerlich, daß Helmut Werfall es anfangs
kaum glauben konnte. Aber im Wein liegt bekanntlich die Wahrheit, und die geschiedene
Irene Flörchinger hatte an jenem Abend eine ganze Flasche getrunken — mehr als
sie vertragen konnte. Das löst die Zunge.
Sie hatte erzählt, daß sie
eines Tages ihren Ex-Gatten, den Fabrikanten Armin Leipel total beerben werde —
ungeachtet dessen, daß der jetzt eine Neue hatte, eine naive Person namens
Susanne Kühnert. Diese Kühnert hätte eine Tochter, erzählte die Flörchinger,
eine Tochter, die Nadja heiße.
Werfall wußte das. Er kannte
Susanne Kühnert. Sie gehörte zur Überlebensrunde; und einmal war auch die Nadja
für fünf Minuten dabeigewesen, nämlich um die Mutti abzuholen.
Tja, hatte die Flörchinger ihr
weinseliges Geständnis fortgesetzt, sie hätte ihren Ex-Gatten Armin Leipel
total in der Hand. Sie könne ihn unter Druck setzen, erpressen — ganz nach
Belieben. Er sei zwar sehr krank, und es bestünde Aussicht auf baldiges
Ableben. Aber die scharfe Waffe, das Druckmittel, werde auch nach seinem Tode
nicht stumpf.
„Denn er hat einen Tick,
Helmut“, hatte Irene berichtet und verhalten gehickst. „Er ist süchtig nach
Ansehen. Das Ansehen seiner Mitmenschen, seiner Umwelt geht ihm über alles. Ich
habe noch nie ein so eitles Asshole erlebt wie ihn. Daß man ihn achtet und
respektiert, das ist sein ganzer Ehrgeiz. Dafür würde er seine Seele verkaufen.
Er würde sich im Grabe wälzen, wenn ich ihn posthum in die Pfanne haue. Und ich
könnte es. Und wie!“
„Womit?“ hatte Helmut Werfall
gefragt.
„Dir sage ich’s. Aber...
hicks... sag’s nicht weiter. Armin ist ein Massenmörder. Er hat das Flugzeug
damals gesprengt. Ja, die Maschine von Malakaputtschino. Sei froh, daß du
überlebt hast.“
Werfall entsann sich. Er hatte
herzlich gelacht, nämlich kein Wort geglaubt, hatte diese Behauptung für einen
Spaß gehalten. Doch Irene erzählte weiter; und die Ungeheuerlichkeit wurde zur
Tatsache.
Mit einer kleinen TNT-Bombe,
die er im Handgepäck seines Bruders Roland versteckte, hatte Armin Leipel die
Katastrophe verursacht. 148 Menschen starben, 22 überlebten. Armin hatte aus
niedrigstem Motiv gehandelt. Aus Gier, um die Firma in seinen Besitz zu
bekommen. Und aus Haß auf seinen Stiefbruder Roland, der bis dahin besser
abgeschnitten hatte im Leben.
„Und dein Ex-Mann hat dich ins
Vertrauen gezogen?“ hatte Werfall gefragt, nachdem Entsetzen und Gänsehaut
abgeklungen waren.
„Nee, hicks. Hätte er nie
gemacht. Aber ich war ihm auf die Schliche gekommen. Schon vor dem Abflug hatte
ich mitgekriegt, wie er die Bombe herstellte. Ich ahnte zwar nicht, was er
vorhatte. Aber nach dem Absturz war alles klar. Und Armin konnte nicht leugnen.
Außerdem hatte ich die Reste, die er bei seiner Bombenbastelei übriggelassen
hatte, beiseite geschafft. Aufgrund dieser Beweise wäre er sofort hinter
Gittern gelandet. Tja, und so stehen wir nun miteinander. Er weiß, was ich
weiß. Und er muß mir aus der Hand fressen. Sobald er den Löffel abgibt, kriege
ich alles — und bin nicht angewiesen auf deine Kohle, Helmut. Ich hasse es
nämlich, hicks, von einem Mann abhängig zu sein. Verstehst du?! Aber daß ich
arbeiten würde,
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