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Opfere dich

Opfere dich

Titel: Opfere dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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einmal auf seinen Mantel übergeben, es war ganz zu Anfang ihrer Laufbahn gewesen, die erste Kinderleiche. Unter den Sohlen ihrer Stiefel knackte hier und da das Eis einer Pfütze. Lia zog ihren Schal vor die Nase.
    „Keine Angst, der ist gefroren, der riecht nicht.“
    „Mir ist einfach nur kalt“, gab sie zurück.
    „Wer hat eigentlich diesen Lausbuben hierhergeschickt?“, fuhr Bauer sie an. Lia hob ratlos die Schultern und kniff die Augen zusammen, als müsste sie ihre Pupillen auf scharf stellen, denn das, was da seltsam verrenkt im Uferschlamm festgefroren und teilweise von Schnee zugedeckt war, gab ein so fremdes Bild ab, dass ihr Gehirn es nur ganz langsam, wie in Zeitlupe, zuließ.
    In den leeren Augenhöhlen war Rheinwasser gefroren. Den nicht vom Schnee zugedeckten Teil der Leiche überzog eine Eisschicht, auf der kleine Kristalle zu tanzen schienen. Die Narbe vom Schambein bis zum Hals war schwarz und erinnerte Lia an ihren alten Stoffbären, den ihre Mutter nach einem Missgeschick wieder zugenäht hatte. Die linke Hand des Toten krallte sich in den Uferschlamm, die rechte lag wie ein Kissen unter seinem Kopf. Lia atmete flach.
    „Das war Schüttler“, beantwortete sie Bauers Frage. Dann trat sie vorsichtig näher und löste sich von Freds Hand. Trotz der Grausamkeit des Gesamtbildes verspürte Lia den Wunsch, diesen verletzten Toten zu umarmen. Der Anblick berührte sie im Innersten, und für einen kurzen Moment lag wieder Julian vor ihr mit der Halswunde, aus der rhythmisch das Blut spritzte.
    Ihr Vorgesetzter, Alexander Schüttler, trat neben sie. „Was denkst du?“
    Lia schob ihre kalten Hände in die mit Fell gefütterten Manteltaschen.
    „Ich habe so eine Leiche noch nie gesehen. Du?“
    Schüttler nickte bedeutungsvoll. „Südamerika, Indien, Ägypten, nur sind sie da nicht wieder zugenäht. Stimmt’s?“ Er sah den Gerichtsmediziner an.
    Bauer arbeitete seit über 30 Jahren in der Gerichtsmedizin. Sein Rücken war krumm von der Zeit, als die Sektionstische noch eine Standardhöhe gehabt hatten. Lia ging so nah wie möglich an den Leichnam heran. Hinter ihr gab Bauer seinen Mitarbeitern präzise Anweisungen, zeigte hierhin und dorthin. Ein paar vermummte Polizisten stocherten vorsichtig im Schnee.
    „Um zehn ist Besprechung“, sagte Schüttler zu ihr, „dann kann Bauer uns mehr sagen.“ Die Stimme klang wie ein Bellen in der klirrenden Kälte dieses Morgens.
    „Wo fährst du hin?“
    „Ins Präsidium.“
    „Dann nimm den Jungen mit, ich kann ihn jetzt nicht gebrauchen.“
    „Mach ich.“ Schüttler winkte dem Praktikanten zu und zeigte Richtung Straße.
    „Bauer, dann sieh zu, dass du ihn aufgetaut bekommst.“ Lia drehte sich zu Fred um und zeigte auf einen Mann mit Hund, der oben an der Straße stand und zu ihnen blickte. „Wer ist das?“
    „Josef Waldmann, ein Bäcker. Er war mit seinem Hund Gassi, bevor er in die Backstube wollte, und hat die Leiche gefunden, oder besser gesagt sein Hund.“
    „Haben wir alles von ihm, was wir brauchen?“
    Fred nickte. Lia ging zurück Richtung Straße, wo Waldmann zitternd stand, stellte sich kurz vor und bat einen Kollegen, den Mann nach Hause zu bringen.
    Dann trat sie in die Mondlandschaft hinaus. Oft kamen ihr in solchen Momenten die ersten Ideen, wonach sie suchen sollte. Aber dieser Tatort war seltsam lautlos. Bauers Mitarbeiter trugen die Leiche an ihr vorbei zur Straße, es folgten mehrere Wannen mit Schnee und Eis.
    „Wie viele Meter rund um den Fundort lässt du abtragen?“
    „Zwei“, antwortete Bauer.
    „Mehr nicht?“
    „Er ist übers Wasser gekommen, und den Rhein können wir schlecht anhalten.“
    „Schon gut.“
    Lia folgte ihm zurück ans Ufer.
    „Der Rhein hat im Moment viel Wasser, die Strömung hier im Rheinknie ist extrem stark. Die Boote wirbeln ziemlich durch die Kurve, und ich schätze, das hat unsere Leiche auch getan. Entweder ist er von dort oben gefallen“, er zeigte zur Kniebrücke hoch, „oder von der Südbrücke. Soweit ich sehen konnte, hat er keine postmortalen Brüche, außerdem keine Anzeichen einer Wasserleiche. Der ist ins Wasser geplumpst und war kurz drauf hier am Ufer. Vielleicht noch von dort.“ Er zeigte auf die Hafeneinfahrt auf der anderen Rheinseite. „Weiter nicht.“
    Sie starrten schweigend auf das dunkle Wasser.
    „Was bedeutet explantiert?“, fragte Lia.
    Bauer zog den Schal enger um seinen mageren Hals.
    „Er hat unfreiwillig irgendjemandem seine Organe gespendet. Und

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