Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
erreichte sie allmählich die Grenze jenseits eines gesunden Body-Mass-Index.
Horndeich trug die gleiche Verkleidung, die seine Shorts und das kurzärmelige Hemd verdeckte. Sandra war mit Stefanie und den anderen Badegästen bereits gegangen. Seine Frau hatte einmal ebenfalls zur Mordkommission Darmstadt gezählt, bevor sie zum Landeskriminalamt nach Wiesbaden gewechselt war. Aber momentan war sie ohnehin in Elternzeit.
»Leiche. Männlich. Nackt. Gefesselt«, erklärte Horndeich seiner Kollegin. Gemeinsam mit Margot betrat er das Zelt. Margot schaute auf den nackten Körper des Mannes. Die Leiche war aufgedunsen, und die Farbe des Körpers war alles andere als appetitlich. Der Körper lag auf der Seite. Ihn auf den Rücken zu legen wäre nicht möglich gewesen. Der Grund war offensichtlich: Beide Hände und beide Füße waren aneinandergefesselt, hinter dem Rücken.
Horndeich sah wieder auf den Mann auf dem Boden. Gruselig, der Gedanke, so ertrinken zu müssen.
Margot ging in die Hocke, betrachtete das Gesicht. »Könnte er es sein?«, fragte sie.
Horndeich wusste, wovon sie sprach. Vor drei Wochen war ein Hochschullehrer aus Darmstadt spurlos verschwunden. In dieser Haltung konnte Horndeich schlecht die Größe schätzen, doch die Eckdaten stimmten: vierzig Jahre alt, dunkles, kurzes Haar, athletischer Körperbau, trainiert, keine Blinddarmnarbe, auch sonst keine Narben oder unveränderliche Kennzeichen – der Mann vor ihnen war ein guter Kandidat.
Ein weiterer Mann betrat das Zelt: Dr. Martin Hinrich, der Gerichtsmediziner aus Frankfurt. Auch er trug die Spurenvermeidungsuniform.
»Na, was haben wir denn da?«, fragte er, offenbar bester Laune.
»Männliche Wasserleiche. Nackt. Gefesselt«, sagte Margot.
Horndeich wusste, wie das mit den Wasserleichen war. Natürlich war ein menschlicher Körper schwerer als Wasser, im Leben wie im Tod. Deshalb sank er zunächst ab, auf den Grund des Gewässers. Nach geraumer Zeit bildeten die Bakterien im Körper Gase, wenn sie den Körper zersetzten. Und dann stieg der Körper wieder auf. Quod erat demonstrandum.
Horndeich erinnerte sich, dass das bei fünf Grad kaltem Wasser nach rund zwei Wochen der Fall war. Doch der Sommer hatte Darmstadt seit vierzehn Tagen fest im Griff; das Wasser im Woog hatte inzwischen an der Oberfläche fast fünfundzwanzig Grad. Und da der See an den tiefsten Stellen nur vier Meter tief war, waren die unteren Wasserschichten wohl auch nicht mehr eiskalt. Was den Verwesungsprozess und damit den Auftrieb beschleunigt haben durfte.
»Und? Auf den ersten Blick eine Idee zur Todesursache?«, fragte Margot.
Steilvorlage für den Gerichtsmediziner: »Bewegungsmangel.«
»Mein Gott, Hinrich, können Sie nicht einmal ein wenig Respekt vor den Toten zeigen?«, blaffte Margot lauter als sonst.
Was Hinrich dazu veranlasste, aus der Hocke heraus zu ihr aufzuschauen. »Bin ich Hellseher, werte Kollegin? Nein. Ich muss den toten Herrn erst mal mit nach Frankfurt nehmen. Auf den Tisch legen. Entfesseln. Und dann untersuchen. Und das möglichst flott, denn wenn der hier noch ein paar Stunden in der Hitze fault, kann ich ihn gleich ins Jeffersonian schicken.«
Margot hob eine Augenbraue, und Horndeich konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Wohin?«, fragte sie.
Horndeich antwortete: » Bones. Die Knochenjägerin. Fernsehserie. Sie ist forensische Anthropologin. Ihr Institut heißt Jeffersonian . Die schaut immer nur auf die Knochen, wenn das Fleisch schon nicht mehr dran ist.« Seit geraumer Zeit waren er und seine Frau Sandra zu Serien-Junkies geworden. Kleine Filmhäppchen, passend für die knappe Pause zwischen Tochter füttern und Tochter wickeln.
»Schon gut«, antwortete Margot.
»Ich sehe keinen typischen Schaumpilz. Aber wenn er einige Tage unter Wasser lag, dann ist das kein Wunder. Schaumpilz vor dem Mund hätte eindeutig auf Ertrinken schließen lassen.«
Hinrich ging in die Hocke. Dann nahm er die nötigen Utensilien aus dem Koffer und untersuchte die Leiche von Kopf bis Fuß. Margot und Horndeich standen schweigend daneben.
»Ich kann noch nicht sagen, ob das die Todesursache war, aber er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen.« Hinrich wandte sich dem Team zu, wobei er mit der Hand das Kopfhaar des Toten etwas zur Seite hielt.
»Wann können Sie uns Genaueres sagen?«
»Frau Hesgart, Sie kennen mich doch inzwischen gut genug, um sich diese Frage selbst beantworten zu können. Ich pfeife auf den Feierabend, meine Freundin
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