Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
war seit Emil Sacher, der nun bereits zwanzig Tage lang verschwunden war, niemand vermisst worden. Sie weitete die Suche auf den Landkreis, dann auf Südhessen aus. In Bensheim wurde eine Prostituierte vermisst, aber da war nicht klar, ob sie nicht einfach ihren Wohnort aufgegeben hatte. Es gab weiter keine verwertbaren Hinweise.
Margot weitete die Suche auf ganz Hessen aus. Auch kein Treffer. Dann nahm sie sich die ganze Republik vor. Aber ein Mann dieses Alters, zwischen 175 und 185 Zentimetern groß, schlank, mit blauen Augen, wurde nirgends vermisst. Seltsam. Sie weitete die Suche auf den Zeitraum der letzten vier Wochen aus. Ebenfalls Fehlanzeige.
Der Himmel war nun pechschwarz. Margot hatte das kaum registriert und unbewusst die Schreibtischlampe angeschaltet.
Blitz und Donner kamen im selben Moment. Der Donner klang, als ob die Bundeswehr neben dem Gebäude Artillerieübungen veranstaltete. Margot zuckte zusammen. Opfer wurde die Maus, die Margot dabei vom Tisch geschleudert hatte.
Mit dem Donner setzte auch der Platzregen ein.
Margot hob die Maus vom Boden auf. Sie trat ans Fenster und beobachtete den Weltuntergang. Die passende Kulisse zum Untergang ihrer Ehe. Rainer arbeitete seit fast eineinhalb Jahren in den USA, an der Uni in Evansville. Dort hatte er einen Forschungsauftrag bekommen – und aus den zunächst wenigen Wochen waren Monate geworden. Margot hatte von Anfang an nicht den Eindruck gehabt, dass Rainer überhaupt zurückkommen wollte. Vor einem Dreivierteljahr, im Oktober, da hatte sie schließlich all seine Sachen aus ihrem Haus in ein Lager schaffen lassen. Da lagerten sie immer noch.
Und jetzt flog er hierher. Mit Rhonda. Die war seine Assistentin, viel jünger. Und inzwischen von der Assistentin zu honey befördert worden. Rainer war Weihnachten noch nicht mit ihr zusammen gewesen – hatte er zumindest versichert. Margot hatte das sogar geglaubt. Denn Rhondas wichtigste Eigenschaft war wohl die, dass sie immer und automatisch in Rainers Nähe war und er sich nicht besonders um sie bemühen musste. So sah das wenigstens Margot. Dass Rhonda nun mit Rainer im Flieger saß – auch das wusste Margot nur von ihrem Vater, bei dem er sich zuvor gemeldet hatte. Feigling.
Ihr Vater, Sebastian Rossberg, und seine Lebensgefährtin Chloe waren seit vier Wochen in Darmstadt. Auch ihr Dad hatte mehr als ein Jahr in den USA verbracht, nachdem er dort seine Jugendliebe wiedergetroffen hatte. Nun wollte er der Frau seines Lebens seine Heimat zeigen, die die Amerikanerin noch nie gesehen hatte. Daher hatte Margot die beiden auch kaum zu Gesicht bekommen.
Der nächste Donner war leiser, das Gewitter zog weiter, aber das Geräusch riss Margot aus ihren Gedanken. Sie setzte sich wieder an den Schreibtisch. Die Maus funktionierte noch. Wenigstens das. Obwohl Emil Sachers Frau ausgesagt hatte, ihr Mann habe kein Tattoo, rief sie nun noch mal die Akte »Sacher« auf. Sacher war Hochschullehrer, Diplomingenieur. Und er war mitten im Semester verschwunden. Das war drei Wochen her, und so lange war der Mann im Woog definitiv nicht tot.
Sie betrachtete die drei Fotos, die seine Ehefrau der Polizei überlassen hatte. Ein gut aussehender Einundvierzigjähriger ohne Bart. Hatte er Ähnlichkeit mit der Woogsleiche? Margot übertrug die Bilder, die sie mit ihrer kleinen Taschenkamera gemacht hatte, auf den Rechner. Betrachtete sie. Die Haarfarbe stimmte überein: tiefes Schwarz. Sowohl der Tote als auch Emil Sacher hatten leichte Geheimratsecken. Auch die Augenpartie war ähnlich. Margot ging davon aus, dass der Mann Emil Sacher war. Vielleicht war er erst nach seinem Verschwinden tätowiert worden?
Margot und Horndeich hatten Emil Sachers Kollegen an der Uni befragt, hatten mit seinem Sohn gesprochen und mehrmals mit seiner Frau. Er hatte nichts mitgenommen. Er war am Mittwoch vor drei Wochen nach der Vorlesung vom Institut in der Petersenstraße in Richtung Parkdeck gegangen, auf dem sein Wagen stand. Der hatte nach seinem Verschwinden immer noch dort gestanden. Die Handy-Ortung hatte ergeben, dass das Handy, wenige Minuten nachdem er das Parkdeck betreten haben musste, abgeschaltet worden war. Weder seine EC- noch seine Kreditkarte waren in den Tagen danach benutzt worden – und er selbst blieb wie vom Erdboden verschwunden.
Sie hatten die Gesprächsdaten des Handys überprüft, aber auch da war nichts Auffälliges zu finden gewesen. Er war am Tag vor seinem Verschwinden von einer Nummer angerufen worden,
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