Opus 01 - Das verbotene Buch
Erleichterung ritt Heribert auf diesem Punkt auch nicht weiter herum. »Vielleicht will der Alte dich ja künftig öfter als Boten einsetzen«, brummte er stattdessen. »Sieh also zu, Junge, dass du deine Sache gut machst. Zwei Gulden für einen Spazierritt – nicht übel. Vor allem, wenn der Bote noch ein wahrer Milchbart ist.« Er nahm seinen Arm von Amos’ Schultern und stieß ihn freundschaftlich in die Seite.
»Von wegen Milchbart.« Amos fuhr sich mit den Fingerspitzen übers Kinn. Da ringelten sich bereits ein halbes Dutzend Haare,und über der Oberlippe spross ihm sogar schon ein Schnurrbart. Schwarz wie sein Haupthaar, das er schulterlang trug, und strichdünn wie seine ganze Gestalt. Obwohl er sich mit den Pagen – den Söhnen von Ritter Heriberts Vasallen – regelmäßig im Ringen und Fechten übte, wollten seine Muskeln einfach nicht wachsen.
»Spaß muss sein, Söhnchen.« Alle Schmähungen, die der Onkel jemals gegen den »Pfaffen« und »Tintenpisser« Valentin Kronus ausgestoßen hatte, schienen aus seinem Gedächtnis getilgt zu sein. Auch auf die angeblich verzärtelnde Wirkung des Bücherlesens, vor der er seinen Neffen unbedingt bewahren musste, würde Heribert wohl so bald nicht mehr zu sprechen kommen – jedenfalls nicht, solange der »verrückte Alte« seine Goldstücke freigiebig springen ließ. Zwei Gulden waren in der Tat ein üppiger Botenlohn – für einen halben Gulden bekam man auf dem Wunsiedeler Kornmarkt zwei Zentner Roggenmehl oder ein gemästetes Schwein. Ritter Heribert und sein Hauptmann hatten schon öfters beratschlagt, wie sie den offenbar vermögenden Kronus in aller Stille ein wenig erleichtern könnten. Aber bisher war Heribert von Hohenstein doch jedes Mal davor zurückgeschreckt, die Schatztruhe seines Pächters zu plündern. Denn Valentin Kronus mochte zwar ein weltfremder alter Büchernarr sein, doch er besaß offenbar mächtige Freunde. Und obwohl sich Heribert von Hohenstein in den zurückliegenden Jahren mehr und mehr auf die Raubritterei verlegt hatte, war auch ihm bewusst, dass man nicht jedes scheinbar wehrlose Opfer ungestraft überfallen durfte.
»Höttsche!«, brüllte er so dröhnend über den Burghof, dass sich das braune Pferd wiehernd aufbäumte. »Her mit dir, du alter Eisenfresser!«
Der Hauptmann stapfte aus der Wachstube hervor. Seine Miene verriet, dass er auf Ärger gefasst war – schließlich hatte er heute früh gegen den ausdrücklichen Befehl seines Herrn verstoßen. Umso erstaunter schien er, als Ritter Heribert ihn lachend zu sich herwinkte. »Sattle dein Pferd, Hauptmann, und bring den jungen Herrn runter zur Kommandantur. Er braucht ein sicheresGeleit nach Nürnberg, verstehst du – nicht wieder solche bestechlichen Kerle wie unlängst, verflucht.« Der Ritter rollte beschwörend mit den Augen, und Höttsche starrte ihn so entgeistert an, dass Amos beinahe losgeprustet hätte. »Ich will die zwei besten Landsknechte als Geleitschutz für meinen Neffen«, fuhr Heribert mit steinerner Miene fort, »richte das dem Kommandanten von mir aus. Sie sollen jeder ein zweites Pferd zum Wechseln mitnehmen – morgen Mittag muss der junge Herr in Nürnberg sein. Für die Kosten«, fügte er hinzu und schlug Amos krachend auf die Schulter, »komme selbstredend ich auf.«
5
I
n scharfem Trab ritten
sie auf der Handelsstraße nach Süden. Die beiden Landsknechte, die Amos nach Nürnberg geleiten sollten, hießen Marek und Bardo – zwei Bauernburschen, kaum zwanzig Jahre alt, doch eindrucksvoll anzusehen in der blauen Uniform des markgräflichen Geleitdienstes. An dem stürmischen Ritt schienen sie ebenso wie Amos Gefallen zu finden – meist trabte Bardo vorneweg, und wenn vor ihnen eine Kutsche oder ein träge schaukelnder Bauernwagen auftauchte, hob der flachsblonde Soldat sein Horn an die Lippen und blies einen schreckerregenden Dreiton. Ob Wanderer zu Fuß, langsamere Reiter oder sogar mehrspännige Reisewagen – alles musste zur Seite weichen und blieb wie festgewachsen am Wegrand zurück, während sie dicht hintereinander vorüberjagten. Bardo voraus, dann Amos, als Nachhut der rothaarige Marek, jeder mit einem schnaubenden Ersatzpferd am Zügel. Amos hätte jubeln und singen mögen, so gut gefiel ihm der wilde Ritt.
Mit Gewehr, Schwert und Dolch bewaffnet, schienen Bardo und Marek bestens gerüstet, um jeden Angriff auf ihren Schützling abzuwehren. Aber wer würde es überhaupt wagen, sie auf offener Straße zu überfallen? Dafür kamen
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