Orangenmond
Widerstand drohte in ihr zusammenzustürzen wie eine Sandburg, die man mit einem einzigen schwachen Tritt dem Erdboden gleichmachen konnte.
»Hallo!« Er küsste sie auf beide Wangen und umarmte sie dabei sanft. Erst dann schaute er sie richtig an. »Da bist du ja.«
Meine Güte, wie klang das denn? Als ob sie zu spät zu einem wichtigen Termin erscheinen würde.
»Was ist los? Bist du krank? Oder was?« Sie zitterte innerlich. Sie war sauer auf ihn und gleichzeitig auf sich selbst. Er konnte immer noch alles von ihr haben, auch wenn er um gar nichts bat. Georg antwortete nicht, schaute sie nur kurz an und richtete dann den Blick auf den Boden.
»Arbeitest du gerade an irgendetwas?«, fragte Eva, um einen ungezwungenen Ton bemüht, und ließ den Blick durch den großen Raum schweifen.
Vor fünf Wochen war sie hergekommen, um auf Emil aufzupassen, damit Georg ungestört an der Aufgabe herumtüfteln konnte, drei geeiste Blaubeeren und einen Lavendelzweig möglichst spektakulär auf einem weißen Teller zu arrangieren. Das war sein Job. Er mixte knallgrüne Smoo thies für ein neues Diätkochbuch oder rückte Kartoffel püree, Nougatpralinen, Käsegebirge und Sauerkrauteintopf für das Objektiv des Fotografen ins richtige Licht.
Den ganzen Abend hatte sie sich gewünscht, dass er aus seinem Arbeitsraum herauskäme, war dann aber auf dem Sofa eingeschlafen. Er hatte sie nicht geweckt, sondern war am nächsten Morgen mit dem Ergebnis seiner nächtlichen Vorbereitung und Kisten voller Obst und Requisiten, ohne auch nur einen Kaffee zu trinken, in das Studio eines Fotografen gefahren. Sie hatte Frühstück für Emil gemacht, ihn zur Schule begleitet, obwohl ihm das peinlich war, und war dann wütend nach Hause geradelt. Nie mehr, hatte sie sich geschworen, nie mehr wollte sie sich wie ein bettelndes Hündchen fühlen, das man einfach auf dem Sofa vergessen konnte!
Die Wut stieg erneut in ihr hoch, was war da eigentlich in den letzten zwei Jahren abgelaufen? Ab und an die Tan ten-Babysitter-Dienste, gefolgt von mehreren Wochen Funk stille, dann wieder plötzlich die Einladung zu einem ge meinsamen Ausflug oder einem Essen bei Georgs Freunden. Sie trafen sich zum Kaffee im Schanzenviertel und natürlich zu Emils Geburtstag. Es gab lange vertrauliche Gespräche auf ihrem Sofa, nur selten mit einem anschließenden Sprung ins Bett. War das eine Beziehung? Wohl kaum. Aber vielleicht war das das Geheimnis, weshalb Georg sich so wohl mit ihr fühlte? Eine Frau, die nichts forderte, aber zur Stelle war, wenn er sie brauchte. Im ersten Jahr nach Milenas Tod waren sie beide vorsichtig gewesen, sie redeten nicht viel, schienen beinahe Angst voreinander zu haben, waren aber doch vereint in der Trauer um denselben Menschen. Im zweiten Jahr klammerte Georg sich nicht mehr ausschließlich an Emil, es wurde selbstverständlicher, zu dritt etwas zu unternehmen, und es tat nicht mehr gar so weh, ihre Erinnerungen an Milena auszutauschen. Mittlerweile wusste Eva vieles über Georg, ihre Treffen waren sehr vertraut, aber nie regelmäßig. Vor zwei Jahren dann ging es mit ihren seltenen Liebesnächten los. Oft begleitet von viel Wein und einzelnen Tränen, immer ausklingend mit Georgs Erinnerungen an Milena. Sie konnte das nicht mehr. Wollte das nicht mehr. Merkte er denn gar nicht, was mit ihr los war?
Um sich ihre Verletztheit nicht anmerken zu lassen, wanderte sie durch den Raum. Sein Studio war eine Mischung aus Kühlhaus, Warenlager und Versuchsküche. Hier bereitete er sich vor, hier probierte er aus, machte auch schon mal selbst einige Aufnahmen, die er dann als freie Arbeiten anbot.
Doch warum waren an diesem Abend keine Lebensmittel zu sehen? Der sonst mit Tellern, Gläsern, Töpfen und Holzbrettchen überhäufte Arbeitstisch war leer, das Regal an der Breitseite des Raumes ordentlich eingeräumt. Dort stapelten sich auch Tischdecken, Servietten und unterschiedlichste Stoffe, Küchenmesser, hölzerne Kochlöffel und Marmoruntersetzer. An den Wänden lehnten verschieden gemaserte Holzplatten, alte Fensterläden, von denen die Farbe blätterte, und einige Tapetenrollen. Georg war immer auf der Jagd, um passende Untergründe und Hintergründe für seine Arbeit zu finden, Haushaltsauflösungen waren sein Hobby, Flohmärkte seine Welt.
Doch auch sein sonst immer offen stehender Werkzeugkoffer, aus dem an normalen Tagen Sprühflaschen, Fleischklopfer, Spatel, Trichter, Pipetten und Pinzetten herausquollen, war geschlossen und zur
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