018 - Der Mönch mit den Teufelskrallen
Der Mönch trug
unter seinem schlichten Gewand, in der Hand verborgen, ein kleines,
unetikettiertes Fläschchen. Bruder Antonio ging auf dem schmalen, steinigen
Pfad, der durch das Gebirge führte. Von dort aus hatte man einen prächtigen
Blick in das Tal, durch das sich das Flüsschen Almante schlängelte – ganz in
der Nähe der kleinen Stadt Deleitosa.
Er lief auf
die Holzhütte zu, die sich an den hohen Zaun eines umfangreichen Gartens
schmiegte. Sie machte einen gepflegten Eindruck, war in vier Zimmer aufgeteilt
und wurde von einem Mann bewohnt.
Der Bewohner,
der weitab von der nächsten Ortschaft das Leben eines Einsiedlers führte, war
Ramon Sostello, der vor vielen Jahren das Gartengrundstück käuflich erworben
und nach und nach seinen eigenen Bedürfnissen entsprechend gestaltet hatte. In
Deleitosa kannte man ihn weder persönlich noch seinen Namen. Nur der Meldebehörde
war er bekannt. Aber die kümmerte sich nicht um ihn, denn er verließ praktisch
niemals sein kleines Reich.
Es war, als
fürchte er die Menschen. Ramon Sostello lebte von den Früchten und Pflanzen in
seinem großen Garten und war Vegetarier – aus verschiedenen Gründen.
Bruder Antonio
umging einen scharfkantigen Felsbrocken mitten auf dem Weg und näherte sich dem
einsamen Gartengrundstück, das mehr als sechs Kilometer von Deleitosa entfernt
lag. Der Mönch war der einzige, der regelmäßig mit dem Einsiedler zusammentraf
– zweimal in der Woche – jeden Dienstag und Freitag.
Er ahnte
nicht, dass sich das bald ändern würde.
Der Mönch
näherte sich der Tür. Der Zaun war an dieser Stelle von hohen Bohnenranken
umwachsen. Bruder Antonio griff durch einen Spalt und tastete nach dem langen
Schlüssel, der an einem krummen, verrosteten Nagel des verwitterten Pfostens
hing.
Er hatte mit
Ramon Sostello eine Abmachung getroffen. Der Zustand des Kranken ließ es
manchmal nicht zu, dass er bis zur Tür kam um zu öffnen und so war
gewährleistet, dass Bruder Antonio zu jeder Zeit das Grundstück betreten
konnte.
Er schloss
auf, drückte die Tür wieder zu, schloss ab und hängte den Schlüssel an seinen
Platz zurück.
Hinter einem
mächtigen Kirschbaum stand das Haus, auf das er sich mit sicheren, ruhigen
Schritten zubewegte. Seine Rechte hielt das kleine Fläschchen umklammert, in
dem sich ein von ihm entwickeltes Naturprodukt befand, das sich aus vielen
Heilkräutern zusammensetzte und dem Schwerkranken zweimal wöchentlich
verabreicht wurde.
Das Gesicht
des Mönchs war kaum zu sehen, die Kapuze warf einen großen, dunklen Schatten.
»Señor
Sostello?« Zwei Schritte vor dem Eingang verhielt Antonio in der Bewegung und
blickte durch ein weit geöffnetes Fenster.
Es war düster
im Haus. Ramon Sostello scheute das Licht.
Der Mönch
drückte die Tür auf und betrat den kleinen Windfang, in dem außer einem sauber
gearbeiteten, einfachen Holzschränkchen kein weiteres Möbelstück war.
Bruder Antonio
warf einen flüchtigen Blick in das düstere Zimmer auf der linken Seite des
schmalen Flurs, der sich hinter der vorspringenden Wand des Windfangs
anschloss. Es war das Wohnzimmer. Die bis an die Decke reichende und prall
gefüllte Bücherwand hatte sich Ramon Sostello selbst gezimmert. Es gab in der
Privatbibliothek des Einsiedlers alte, wertvolle Bücher. Bruder Antonio hatte
während seiner vielen Aufenthalte in diesem Haus schon manchen Band in der Hand
gehalten und darin geblättert.
Mitten im
Zimmer standen ein breiter, hoher Tisch und drei einfache, hochlehnige Stühle.
Links befand sich ein alter Ofen, daneben eine dunkelgrün bezogene Couch und
ein alter, verschlissener Sessel. Darauf lag ein Buch.
Bruder Antonio
griff danach und warf einen Blick auf den Titel:
Drogen – ihre Wirkung auf Geist, Seele und Körper.
Ramon Sostello
schien noch kurz zuvor darin gelesen zu haben. Der Mönch warf einen Blick in
alle Zimmer. Sie waren leer. Er fand Ramon Sostello auch nicht im Pavillon.
Irritiert
kehrte er in das Haus zurück. Das war ungewöhnlich. Ramon Sostello wusste doch,
dass er um diese Zeit kommen würde.
Am besten war
es, abzuwarten. Über kurz oder lang musste Ramon zurückkommen.
Bruder Antonio
stieß ein wenig den Fensterladen zurück, um mehr Licht ins Zimmer zu lassen. Er
stellte das mit dem Präparat gefüllte Fläschchen vorsichtig auf die
Tischplatte, nahm dann das Buch zur Hand und setzte sich in den Sessel.
Er begann in
dem alten Werk zu blättern. Das Licht fiel über seine Schultern und
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