Orla Froschfresser
Orla.
Orla kam näher.
Ab und zu nahm er die Zigarette aus dem Mund und pfiff vor sich hin. Er hatte es wohl nicht sonderlich eilig. Er schlenderte einfach herum, trat ab und zu nach einem Steinchen, das ihm im Weg lag, und sah dabei an den Bäumen hoch, die in den Gärten standen.
An den Bäumen hoch, ja.
Fast hätte man meinen können, er habe es auf Pflaumen abgesehen.
Das hatte er auch, denn als er zu dem Baum kam, auf dem ich zitternd saß, blieb er stehen und guckte ganz harmlos in die Luft.
«Ahahhh», sagte er und kniff seine bösen, gelben Augen zusammen. «Was für ein kleiner Mistkerl sitzt denn da oben?» Verflixt! dachte ich und wäre ihm fast auf den Kürbis geplumpst. Wenn der auf Bäume klettern kann, komme ich heute ohne Ohren nach Hause.
«Na!» sagte Orla und drückte seine Zigarette aus. «Hab ich dich endlich. — Jetzt, Freundchen, werde ich dir das Gesicht hübsch blau schlagen.»
O weh! dachte ich. Das wird ja immer schlimmer.
Mir wurde ganz kalt unterm Hemd, als er zu mir heraufzuklettern begann.
Orla konnte mächtig gut klettern.
Mindestens ebenso gut wie ich.
Doch der Pflaumenbaum war hoch und biegsam. Ich kletterte einfach immer höher hinauf. Der Baum begann von einer Seite zur anderen zu schwanken, und je höher ich kam, desto heftiger schwankte er.
«Kannst du nicht still sitzen!» fauchte Orla. «Man kann ja nicht klettern, wenn du da oben so rumzappelst.»
Schließlich konnte ich nicht mehr weiterklettern.
Der Baum begann sich seitwärts über den Weg zu biegen. Es knackte auch ein bißchen in den Zweigen.
«Ich werde dich schon erwischen», quakte Orla.
Er lachte boshaft.
«Höher kannst du nämlich nicht klettern, sonst brechen die Aste ab, und du saust runter und brichst dir das Genick, du Miststück.»
Was nun geschah, hatte ich noch nie erlebt.
Als Orla beinahe zur Spitze gelangt war und schon fast meinen Fuß berühren konnte, bog sich der Baum so tief über den Weg, daß die Zweige fast den Boden berührten.
Uuiii, hat der Baum geknackt und geächzt.
«Hilfe!» schrie Orla. «Laß doch los, Mann! Sonst bricht der Baum ab, und dann falle ich runter und tue mir weh. Loslassen, zum Kuckuck!»
Das tat ich jetzt auch, denn ich hatte es nicht weit bis zum Boden. Ich landete im weichen, gelben Sand am Straßenrand und schaute zu Orla hinauf.
Als ich den Ast losgelassen hatte, schnellte der Baum wieder empor, daß es durch die Luft pfiff.
Tjiiii! machte es — und Orla sauste mit hoch. Aber der Baum hatte solchen Schwung, daß Orla sich nicht festhalten konnte. Er flog weiter durch die Luft wie eine Kanonenkugel, flog im hohen Bogen über die Hecke und landete im Bier des Schmieds.
«Was!» schrie der Schmied. «Bist du schon wieder da?» «Nee... nein», stotterte Orla.
«Na, wer soll’s denn sonst sein!» rief der Schmied. «Und diesmal hast du auch noch mein Bier verschüttet.»
Junge, Junge, war das ein Klatschen und Heulen, das da aus dem Garten zu hören war.
Aber was der Schmied sonst noch sagte, das habe ich nicht mitgekriegt, denn ich hatte es eilig, irgendwohin zu kommen, wo Orla mich nicht finden konnte.
Orla Froschfresser begegnet einem fremden Mann
Am nächsten Tag regnete es. Den ganzen Vormittag liefen Jakob und ich barfuß herum und wateten durch die Pfützen und hatten herrlichen, weichen Schlamm zwischen den Zehen. Und wie wir so mitten im schönsten Herummatschen waren und uns so richtig wohl fühlten, wen sahen wir da?
Orla selbstverständlich.
Aber an diesem Tag schlenderte er nicht einfach pfeifend und Steinchen kickend herum.
Nein, an diesem Tag war er ganz offensichtlich auf der Suche nach jemand.
«Du, Jakob!» flüsterte ich. «Ich glaube fast, ich weiß, wen er sucht.»
«Ho!» sagte Jakob und sprang mit geschlossenen Beinen in eine große, schlammige Pfütze. «Bestimmt sucht er jemand, der ihm ein ganzes Päckchen Zigaretten schenkt.»
«Nein», sagte ich. «Der sucht mich, denn er ist total verrückt.»
«Oha», sagte Jakob. «Dann laufen wir lieber zu mir nach Hause.»
Also rannten wir los.
Doch Orla erblickte uns. Er warf seine Zigarette weg und spurtete hinter uns her.
Mensch, hatten wir eine Angst.
Wir schlugen Haken wie die Kaninchen, daß Wasser und Modder nur so nach allen Seiten spritzten. Als wir beim Kaufmann um die Ecke sausten, wären wir fast über den kleinen Hund des Schlachters gefallen. Er stand, dick und rund wie ein Rollschinken, mitten im Weg. Als er uns sah, erschrak er
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