Orla Froschfresser
Balken. Vom Boden aus hatte er klein und schwach gewirkt, doch wenn man ganz oben war, konnte man sehen, daß es ein mächtig dicker Balken war, auf dem man gut stehen konnte. Ich kletterte hinauf und kroch zu der Öffnung. Es war gar kein Fenster, sondern eine ehemalige Dachluke, die schon keine Läden mehr hatte.
«Na!» rief Orla grinsend. «Jetzt ist dir das Lachen vergangen, was?»
Ich gab keine Antwort, denn ich war vollauf damit beschäftigt, die Luke zu erreichen. Orla stand heftig schnaufend unten und hatte einen ganz roten Kopf.
Die Luke führte auf einen großen Speicher, wo ein Haufen alte, kaputte Kornsäcke herumlagen. Aber gleich unter der Luke stand noch ein Sack, der fast bis oben voll Korn war. Ich mühte mich damit ab, bis ich ihn schließlich auf den Balken gezogen hatte. Dann wik-kelte ich mir das Seil noch ein paarmal um den Bauch.
«Was machst du denn da?» schrie Orla.
Tja! dachte ich. Wenn du das wüßtest, du langer Lulatsch. Aber ich sagte es nicht laut.
Statt dessen packte ich den Sack und sprang damit in die Tiefe. Gemächlich schwebte ich durch die Luft.
Und Orla, der sich ja selbst am anderen Ende des Seiles festgebunden hatte, stieg langsam höher und höher.
Als ich wieder Boden unter den Füßen hatte, saß er oben auf dem Balken und zappelte mit den Beinen.
«Halt! Stopp! Hiiiilfe!» schrie er. «Was hast du denn gemacht?»
«Ich bin runtergesprungen!» rief ich.
«Hiiiiiilfe!» brüllte Orla. «Es ist gefährlich, so hoch oben auf einem schmalen Balken zu sitzen.»
«Ja», sagte ich. «Ich hab’s schon ausprobiert.»
Schnell löste ich den Strick von meinem Bauch, denn ich mußte mich vor weiteren Flugübungen hüten.
«Hör mal!» rief Orla. «Das kannst du nicht machen. So komme ich ja nie wieder runter.»
Darauf gab ich überhaupt keine Antwort.
Ich rannte durch das hohe Gras des Mühlengartens davon, ohne mich umzusehen, und das letzte, was ich ihn brüllen hörte, war:
«Stooopppp, Mann! Hilf mir runter. Du kriegst auch eine Krone dafür!»
Aber ich hatte kein Interesse daran.
Ich hatte nichts Eiligeres vor, als wieder nach Hause zu kommen und Jakob zu erzählen, was ich erlebt hatte.
Den ganzen Nachmittag saßen Jakob und ich unter den Johannisbeersträuchern und lachten über Orla, der jetzt draußen hoch oben auf dem Mühlenbalken saß und wie ein Wilder schrie.
Doch gegen Abend wurde uns der Gedanke, daß Orla der Froschfresser ganz allein dort sitzen mußte, ein wenig unheimlich. Am Ende würde er noch herunterfallen und sich das Genick brechen. Obwohl er ein gemeiner boshafter Kerl war, tat er uns ein bißchen leid.
«Du, Jakob», sagte ich. «Der kann doch nicht auf dem Balken sitzen bleiben.»
«Neeee», sagte Jakob grinsend. «Irgendwann wird er schon runterfallen.»
«Ach», sagte ich. «Womöglich bricht er sich alle Knochen. Und dann komme ich vielleicht ins Gefängnis.»
«O weh!» sagte Jakob voll Schreck. «Aber ich habe keinen Mumm, ihn runterzuholen.»
Ich traute mich auch nicht. Also überlegten wir, wie wir Orla vom Balken herunterkriegen konnten, ohne eins ausgewischt zu bekommen.
«Ich hab’s!» rief Jakob. «Wir gehen zum Schmied und erzählen ihm, daß draußen auf der Mühle eine Krähe sitzt. Der Schmied wird ganz wild, wenn er nur das Wort Krähe hört, denn die Krähen sind hinter seinen Tauben her.»
Und so machten wir es.
Wir gingen zum Schmied, und Jakob erzählte ihm, daß eine riesengroße, gefährliche Krähe draußen auf der Windmühle sitze. Als der Schmied das hörte, bekam er vor Zorn einen roten Kopf und rannte mit seinem Jagdgewehr unter dem Arm los.
Wir folgten ihm vorsichtig, denn wir waren neugierig, was nun passieren würde.
«Vielleicht wird Orla erschossen», flüsterte ich.
Es war schon fast dunkel, als wir hinaus zur Windmühle kamen. Schon von weitem konnte man deutlich hören, daß es keine gewöhnliche Krähe war, die da oben auf dem Balken saß.
«Was soll das heißen?» brüllte der Schmied, als er Orla oben auf dem Balken unter der Dachluke sitzen sah. «Bist du’s schon wieder, du Ungeheuer!»
«Mmmmjaaa», wimmerte Orla der Froschfresser ängstlich.
«Jetzt hör mir mal zu!» rief der Schmied zornig und stampfte mit dem Fuß auf, daß die Mühle erzitterte. «Erst hast du meinen Hühnerhof kaputtgemacht — stimmt’s?»
«Hmjaaa», sagte Orla.
«Gut», brummte der Schmied. «Und dann hast du mitten an einem herrlich warmen Sommertag mein Bier ausgeschüttet —
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