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Orphan 1 Der Engel von Inveraray

Orphan 1 Der Engel von Inveraray

Titel: Orphan 1 Der Engel von Inveraray Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karyn Monk
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Gefängnisdirektor gegenüber auf irgendeine Weise erkenntlich.
    Sie trug keinen Schmuck, und bei näherem Hinsehen wurde deutlich, dass ihr Mantel keinerlei modische Verzierungen aufwies und der Stoff billig und bereits ein wenig abgetragen war. Was auch immer sie für das zweifelhafte Privileg zahlte, die Verantwortung für einen halb verhungerten, verlogenen jungen Dieb zu übernehmen, es war offenkundig, dass sie es sich kaum leisten konnte. Die Gewissheit, dass Jack vorhatte, ihre guten Absichten auszunutzen und sich dann aus dem Staub zu machen, stimmte Haydon traurig. Er empfand Mitleid mit beiden.
    Governor Thomson hatte die Zelle bereits verlassen. Offenbar konnte er es kaum erwarten, das Geschäft zum Abschluss zu bringen.
    Die entzückende Miss MacPhail zögerte jedoch.
    „Ich werde meine Magd so rasch wie möglich zu Ihnen schicken, damit sie Ihre Wunden versorgt", versprach sie Haydon. „Gibt es etwas, das Sie gern hätten?"
    „Lassen Sie den Jungen nicht aus den Augen, bis Sie sicher sind, dass er bei Ihnen bleibt, sonst ist er schon morgen fort."
    Sie schaute ihn verwundert an. Offenbar hatte sie erwartet, dass er um etwas Schlichtes, Betäubendes bitten würde, Whisky beispielsweise, oder darum, dass man ihm
    eine bestimmte Mahlzeit zubereitete.

    „Da ist noch etwas."
    Sie hielt gespannt inne.
    „Ich möchte, dass Sie mir glauben, dass ich unschuldig bin."
    Der Wärter schnaubte verächtlich. „Ihr Mörder wollt immer, dass die ganze Welt euch für Unschuldslämmer hält - vor allem, wenn der Henker schon auf euch wartet."
    „Warum kümmert es Sie, was ich von Ihnen denke?" fragte sie, ohne dem Spott des Wärters Beachtung zu schenken.
    Haydon blickte sie eindringlich an. „Es ist einfach so."
    Sie schwieg einen Augenblick und dachte über seine Bitte nach. „Leider kenne ich die Umstände Ihrer Tat nicht und kann mir daher kein Urteil erlauben." In ihrer leisen Stimme schwang Bedauern mit, so als hätte sie ihm viel lieber mitgeteilt, dass sie ihm glaube.
    Er nickte und fühlte sich mit einem Male unendlich müde. „Natürlich." Er schloss die Augen.
    „Dann kommen Sie, Miss MacPhail", drängte Governor Thomson, der voller Ungeduld an der Zellentür wartete. „Lassen Sie uns die Angelegenheit mit dem Bengel zum Abschluss bringen."
    „Ich werde meine Magd anweisen, etwas Besonderes für Sie zuzubereiten", meinte sie an Haydon gewandt, wohl in der Hoffnung, dass ihn dies ein wenig trösten würde.
    „Ich bin nicht hungrig."
    „Dann wird sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um Ihnen Linderung zu verschaffen", versprach sie.
    „Danke."
    Es war kaum zu sehen, doch er spürte, wie sie zögerte, als gebe es noch etwas, das sie ihm sagen wollte.
    Dann verließ sie die Zelle. Die letzten Stunden seines Lebens würde er allein in der kalten Dunkelheit verbringen.
    „Der Vertrag lautet genauso wie jene, denen Sie bei früherer Gelegenheit zugestimmt haben, allerdings habe ich
    selbstverständlich Angaben hinsichtlich der Strafe des Jungen hinzugefügt", erklärte Governor Thomson und schob ihr ein Blatt Papier über den Schreibtisch hinweg zu.
    „Ich bin sicher, Sie werden nichts daran auszusetzen haben." Kein Zweifel, er konnte es kaum erwarten, dass sie das Dokument unterschrieb und er seinen Lohn erhielt.
    „Das bezweifle ich nicht", entgegnete Genevieve. „Doch ich würde ein schlechtes Vorbild abgeben, wenn ich den Vertrag unterzeichnete, ohne ihn vorher gelesen zu haben. Man muss jedes Dokument gründlich durchsehen, bevor man seine Unterschrift darunter setzt", erläuterte sie an Jack gewandt.
    „Nun, Junge, heute ist dein Glückstag, nicht wahr?" sagte Governor Thomson in einem halbherzigen Versuch, die entstandene Stille zu überbrücken.

    Jack schwieg.
    Genevieve schaute von dem Vertragswerk auf und betrachtete den Knaben. Er hatte den Blick auf den Gang jenseits der geöffneten Bürotür gerichtet, offensichtlich gebannt vom Anblick des Wärters, der damit beschäftigt war, irdene Haferbreischüsseln auf einem schweren Holztablett zu stapeln. Vielleicht wird ihm gerade bewusst, wie nahe daran er gewesen ist, von diesem widerlichen Kerl zu Tode geprügelt zu werden, dachte Genevieve.
    „Jack, du musst antworten, wenn jemand dir eine Frage stellt", mahnte sie freundlich.
    Jack blinzelte und sah sie verdutzt an. „Was?"
    „In einer gepflegten Unterhaltung sagt man nicht ,was' sondern ,wie bitte'"
    berichtigte Genevieve, die beschlossen hatte, dass sie ebenso gut sofort damit

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